Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um

Debatte Pro-Contra-Betriebsräte

In der darauf folgenden Ausgabe (März/April 2008) erschien eine kritische Antwort auf diesen Beitrag: Etwas Besseres als einen Betriebsrat… – Einige notwendige Überlegungen zum Verhältnis von Gewerkschaft und Betriebsrat

Immer wieder erhitzen sie die Gemüter in der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland: die Betriebsräte (BR). Für die DGB-Gewerkschaften sind sie ein wichtiger Faktor für die betriebliche Mitbestimmung und sichern außerdem den gewerkschaftlichen Einfluss in den Unternehmen. Ein wichtiger Schritt also hin zu einem demokratischen Sozialismus und einer Wirtschaftsdemokratie, wie sie schon seit den Zwanzigerjahren von reformistischen Gewerkschaftern und Sozialdemokraten vertreten wird. Auch die Arbeitgeber sehen hier einen Schritt zum Sozialismus. Die Betriebsräte und die Gewerkschaften hätten zu viel Einfluss, würden versuchen, die Marktwirtschaft in eine Planwirtschaft umzufunktionieren und damit erreichen, dass ein wahres Unternehmertum, das dem Wohl der Allgemeinheit dient, sich nicht richtig entfalten könne. Daher müsse ihr Einfluss gesetzlich beschränkt werden. Und dann gibt es da noch, allerdings in der allgemeinen Diskussion überhaupt nicht beachtet, die Position der Anarcho-Syndikalisten. Die Menschen in den Betrieben müssten sich selbst organisieren. Es dürfe keine Stellvertreterpolitik betrieben werden, da durch solche Gremien, die außerdem dazu neigen, sich zu verselbständigen, genau dies verhindert würde. Wichtig und richtig sei daher nur der Aufbau unabhängiger Betriebsgruppen. Sehen wir uns dieses System der „betrieblichen Mitbestimmung“ doch einmal etwas genauer an.

Die deutsche Demokratie an der Wiege

Geschaffen wurde es in den Grundzügen im Jahre 1920, einer Zeit des Umbruchs und der Revolution. Direkt nach dem Ersten Weltkrieg, als in der Arbeiterbewegung, selbst in den sozialdemokratisch dominierten Zentralverbänden, der Ruf nach einer Sozialisierung der Großbetriebe und der Bergwerke immer lauter wurde. In einer Zeit, als Zechen und Stahlwerke, ganze Gemeinden gar, besetzt und diese Aufstände von Freikorps und regulärem Militär blutig niedergeschlagen wurden, um die Ordnung im Reich wieder herzustellen. Die Sozialdemokratie, eben erst an die Macht gekommen, wusste, dass sie die Arbeiterbewegung, der sie ja gerade diese Macht verdankte, nicht alleine mit Gewalt in den Griff bekommen konnte. Hier waren auf Dauer subtilere Methoden wesentlich wirksamer. Es war notwendig, ihr zumindest zu suggerieren, dass sie an dieser Macht beteiligt sei und sie in ihrem ureigensten Bereich, den Betrieben, das behalten könne, was sie sich erkämpft hatte, nämlich Räte – „Betriebsräte“ eben. So wurde also ein Gesetz gegen die soziale Revolution auf den Weg gebracht, das fälschlicher Weise den Titel „Betriebsrätegesetz“ erhielt. Der Zweck dieses Gesetzes war von Anfang an, einen so genannten „Wirtschaftsfrieden“ zu schaffen, um die am Boden liegende, von amerikanischen Krediten abhängige Wirtschaft hochzupäppeln und den Rätegedanken zu schwächen. Eine ArbeiterInnendemonstration gegen dieses „Betriebsrätegesetz“, wurde – wenige Tage vor der Abstimmung – mit Maschinengewehren „aufgelöst“. 42 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Der NS-Diktatur löste selbst diese Betriebsräte, wie sonstige Arbeiter-Institutionen auch, auf. Nach der Niederlage des Nationalsozialismus und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland kam es erneut zu Auseinandersetzungen über die Struktur der Mitbestimmung der Beschäftigten in den Betrieben. Wurde vor Gründung der Bundesrepublik noch allerorten eine „Sozialisierung der Bergwerke und der Großindustrie“ gefordert (selbst die CDU sprach in ihrem Ahlener Programm 1949 noch von „Sozialismus“), schlug man nun doch wieder leisere Töne an. Trotz größerer Proteste und Demonstrationen wurde 1952 das neue „Betriebsverfassungsgesetz“ verabschiedet, welches, ähnlich wie das Betriebsrätegesetz von 1920, der Ruhigstellung und Einbeziehung der Gewerkschaften und ihrer betrieblichen Funktionäre in die neu entwickelte „Sozialpartnerschaft“ dienen sollte. Dieses Gesetz ist, 1972 grundlegend überarbeitet und 2001 in einigen Punkten modernisiert, bis heute Grundlage für die Arbeit der Betriebsräte und auch der Gewerkschaften in den Betrieben.

Wie wichtig heute? Betriebe ohne BR

Vom Grundsatz her gilt das Betriebsverfassungsgesetz in allen Betrieben, in denen mindestens fünf Menschen beschäftigt sind und die nicht dem Öffentlichen Dienst angehören (hier gelten eigenständige Regelungen, die sog. Personalvertretungsgesetze) – oder kirchliche Träger haben, wie zum Beispiel viele Krankenhäuser oder Kindergärten. Diese Einrichtungen sind ausdrücklich vom Geltungsbereich des BetrVG ausgenommen, die Kirchen als „Arbeitgeber“ haben sich hierfür eigenständige Regelungen geschaffen. In der Realität sieht es jedoch so aus, dass es in 89 Prozent der Betriebe der Privatwirtschaft gar keinen Betriebsrat gibt. In diesen Betrieben arbeiten 52 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland, in Ostdeutschland sind es sogar 62 Prozent. In größeren Betrieben ist der Deckungsgrad allerdings wesentlich höher als in Klein- und Mittelbetrieben, hier gibt es also in der Regel auch einen Betriebsrat. Allerdings existiert in etwa einem Viertel der Betriebe mit 100 bis 200 Beschäftigten kein Betriebsrat. In der Mehrheit dieser Betriebe gilt übrigens auch kein Tarifvertrag. Teils handelt es sich bei diesen betriebsratslosen Unternehmen um Firmen aus den Bereichen der Informationstechnologie oder auch der Weiterbildung. Firmen also, in denen hochqualifizierte, zum Großteil junge Menschen arbeiten, die ihre Selbstverwirklichung oft in exzessiver Arbeit suchen. ArbeiterInnen, die sich dadurch nicht ausgebeutet fühlen und für die andererseits Gewerkschaften und betriebliches Engagement ein altmodisches und miefiges Image haben. Zum anderen Teil versuchen Unternehmer, in ihren Firmen die Gründung von Betriebsräten zu verhindern oder bestehende Gremien gezielt zu zerschlagen. Bekannt geworden sind hier besonders Ketten wie McDonald’s oder auch die Discounter LIDL und Schlecker. Sie beschäftigen zum Teil spezielle Einsatzkommandos, deren Aufgabe es ist, Initiativen zur Organisierung oder zur Gründung von Betriebsräten im Keim zu ersticken – oft mit illegalen Methoden. Es werden für Unternehmer und Personalchefs aber auch Seminare angeboten, wie man ein Unternehmen „In Zukunft ohne Betriebsrat“ führen kann. Hier werden dann Kniffe und Tricks geschult, wie die Wahl eines Betriebsrates mit legalen Mitteln verhindert werden oder aber ein bestehender Betriebsrat, abhängig von den Persönlichkeitsstrukturen der handelnden Personen, entweder an das Unternehmen gebunden oder aber mit unnützer Arbeit überfrachtet werden kann – bis er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Wahlanfechtungen, Arbeitsgerichtsprozesse, das Anbieten gut dotierter Stellen, die Aufspaltung von Unternehmen, das Repertoire der Möglichkeiten ist ziemlich breit, mit denen auf Betriebsräte und einzelne Betriebsratsmitglieder Einfluss genommen werden kann.

Mit Kanonen auf Spatzen? Kritik am BR

Es zeichnet sich nun bereits recht deutlich ab, welchen Schwierigkeiten sich Betriebsratsmitglieder in der Regel tagtäglich ausgesetzt sehen. Eingebunden in ein System, das ihnen recht wenig Spielraum oder gar „Mitbestimmung“ lässt. Das Betriebsverfassungsgesetz als Grundlage, das die Befriedung einer aufständischen Arbeiterschaft zu Zweck hatte, dessen Einführung blutig durchgesetzt wurde und das später neu geschaffen wurde mit dem ausdrücklichen Ziel, Betriebsrat und auch die Gewerkschaften zu einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ mit dem Unternehmer zu verpflichten und die „Sozialpartnerschaft“ in den Betrieben zu zementieren. Umgeben von Kolleginnen und Kollegen, die verständlicherweise erwarten, dass ihre Rechte von dem Gremium Betriebsrat vertreten und auch durchgesetzt werden. Konfrontiert entweder mit Unternehmern, die versuchen, ihre Arbeit gezielt zu unterlaufen und, zum Großteil sogar mit unfairen bis illegalen Mitteln, zu verhindern oder aber die einzelnen Betriebsratsmitglieder zu vereinnahmen. Manchmal geschieht dies ganz offen durch Korruption, Geld, Reisen, sonstige Vorteile. Die Boulevardpresse freut sich dann regelmäßig darüber und wir können mehr oder weniger unappetitliche Details über die Verfehlungen dieser „Kollegen“ (es handelt sich wohl immer um Männer) aus den Vorständen der Gewerkschaften nachlesen. Dies sind aber Ausnahmen. Was vor Ort passiert, ist das, was Kurt Tucholsky in „Die kleine, gelbe Blume des Verrats“ sehr anschaulich geschildert hat: Die kleinen Erfolge, die man erringt. Probleme, die man mit dem Chef regeln kann, unter der Hand. Das Verständnis, das man Entscheidungen des „Arbeitgebers“ entgegenbringt. Genau hier liegt die Wurzel der kleinen, gelben Blume des Verrats…. und eines Tages wird sie ihr Köpfchen aus dem Gras stecken! Mit dieser Problematik befasste sich im Jahre 1921, ein Jahr nach Inkrafttreten des Betriebsrätegesetzes, auch ein Artikel in der ersten Ausgabe der Zeitung „Der Syndikalist“, dem Organ der kurz zuvor gegründeten „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“. Sehr anschaulich wird hier geschildert, wie viele der neu gewählten „Räte“ über die Köpfe der ArbeiterInnen hinweg für diese entscheiden und Nutzen für sich selbst aus ihrer Arbeit und ihrer neuen Position ziehen. Der Artikel gesteht aber auch zu, dass es „innerlich so festverankerte Charaktere“ geben könnte, die ihre Tätigkeit für das Allgemeinwohl, für den Syndikalismus einsetzen und nicht zu neuen Herren werden könnten.

Den Vorstoß wagen? Warum?

Es scheint nun durchaus angebracht, einmal zu überlegen, welche Möglichkeiten die Arbeit der Betriebsräte bietet und welche Möglichkeiten die Beschäftigten gar nicht haben, die etwa in Betrieben ohne Betriebsrat arbeiten. Natürlich wird niemand erwarten, dass Betriebsräte mit ihren sämtlichen „Beteiligungsrechten“ und den ganzen gesetzlichen Vorschriften die Welt oder auch nur die Arbeitswelt verändern können. Aber sie bieten gewisse Möglichkeiten, Chancen, die in Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt, einfach nicht bestehen. Chancen, die durchaus genutzt werden können bei der Etablierung einer kämpferischen Gewerkschaft. Betriebsratsarbeit kann eine Möglichkeit sein, die Menschen zu erreichen, über unsere Ideen zu informieren und Vertrauen aufzubauen. Dies setzt allerdings voraus, dass aktive ArbeiterInnen und Gewerkschaftsmitglieder über etwas mehr als nur Grundkenntnisse der vorgegebenen Bedingungen wie Gesetze und wirtschaftliche Zusammenhänge verfügen. Deshalb wird an dieser Stelle etwas genauer auf die Passagen des BetrVG eingegangen, die gewöhnlich immer dann bemüht werden, wenn aufgezeigt werden soll, dass Betriebsratsarbeit von Grund auf reformistisch sei.

Ein wichtiger Punkt ist zunächst einmal das Zutrittsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb. Gleich in § 2 legt das BetrVG fest, dass dies den Gewerkschaften zusteht, die im Betrieb vertreten sind, also Mitglieder haben. Beauftragte der Gewerkschaften können den Betrieb betreten, auch an Betriebsversammlungen und, auf Einladung eines Viertels der Betriebsratsmitglieder, an Sitzungen des Betriebsrates teilnehmen. Allerdings machen die Gerichte den Begriff „Gewerkschaft“ an der so genannten „Tarifmächtigkeit“ fest. Demnach gilt eine Arbeitnehmervereinigung nur dann als Gewerkschaft, wenn sie mächtig genug ist, Tarifverträge durchzusetzen und diese auch schon abgeschlossen hat. Nach neueren Urteilen haben aber auch sonstige Vereinigungen von abhängig Beschäftigten ein Zutrittsrecht, um sich darzustellen und Mitglieder zu werben. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass nicht alle Unternehmen mit diesen Feinheiten des Gesetzes und dessen Auslegung allzu vertraut sind.

Betriebsratsarbeit – das geht auch anders!

Außerdem eröffnet das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit, „zusätzliche Vertretungen, die die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern“ zu schaffen (§ 3 BetrVG). Es wäre also durchaus möglich, Betriebsgruppen, die bereits bestehen oder neu gegründet werden, in dieser Weise zu „legalisieren“, so dass sie wie bisher eigenständig arbeiten könnten, aber auf einer wesentlich breiteren Basis. Und auch ohne vom Betriebsrat abhängig zu sein und bevormundet zu werden. Genauso interessant ist in dieser Hinsicht der § 28a, der erst bei der Novelle des BetrVG im Jahre 2001 eingefügt wurde: Es ist nun möglich, dass der Betriebsrat bestimmte Aufgaben an Arbeitsgruppen überträgt. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppen müssen nicht, wie bei den bisher schon möglichen Ausschüssen, gleichzeitig Mitglied des Betriebsrates sein. Liegt zum Beispiel in einer Abteilung ein Problem an, könnten alle Beschäftigte in dieser Abteilung in eine Arbeitsgruppe benannt werden. Sie könnten nun gemeinsam dieses Problem lösen und auch selbständig mit dem Arbeitgeber regeln. Ähnlich könnte dann auch bei Arbeitszeitplanung, Arbeitssicherheit oder vergleichbaren Themen verfahren werden. Die Betroffenen regeln ihre Angelegenheiten selbständig, direkt vor Ort. Gute Beispiele machen meist Schule. Diese Art von Arbeits- oder Betriebsgruppe könnte sich recht schnell in Betrieben etablieren.

Betriebsratssitzungen sind nicht öffentlich und die Mitglieder des Gremiums unterliegen einer Geheimhaltungspflicht. Dies sind Regelungen (§ 30 und § 79 BetrVG), auf die die Geschäftsleitung nur zu gerne immer wieder hinweist. Würde man ihrer Interpretation folgen, dürften die Betriebsratsmitglieder kaum noch miteinander reden, der Betriebsrat würde zum Geheimrat verkommen. Genau betrachtet geht es eigentlich um Selbstverständlichkeiten, nämlich persönliche Angelegenheiten von Beschäftigten auf der einen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auf der anderen Seite. Hierbei handelt es sich dann um den Schutz von Erfindungen, neuen Arbeitsverfahren, Insiderwissen, das an die Konkurrenz verkauft werden könnte, etc. Also, auch wenn viele „Geheimräte“ das nicht gerne hören: Ein Betriebsrat hat das Recht und auch die Pflicht, die Beschäftigten über alles zu informieren, was er im Rahmen seiner Arbeit erfährt und was diese betrifft! Möglichkeiten wären hier regelmäßige Aushänge im Betrieb, Flugblätter, eine Betriebsratszeitung oder natürlich Betriebsversammlungen, die mindestens einmal im Vierteljahr vom Betriebsrat durchgeführt werden müssen. Hier besteht auch die Möglichkeit, wie oben bereits erwähnt, Beauftragte der Gewerkschaften einzuladen. Der Unternehmer muss hierbei einmal im Jahr einen Bericht über die Lage des Betriebes abgeben und Rede und Antwort stehen. Hier haben die Beschäftigten und damit natürlich auch Betriebsgruppen, die Möglichkeit, die Geschäftsleitung und auch den Betriebsrat zu ihrer Arbeit zu befragen und ihre Schlüsse zu ziehen.

Ein Brückenkopf gibt Handlungsspielraum

Oft wird der § 74 zitiert, wenn es darum geht, dass der Betriebsrat weder zum Streik aufrufen noch politisch tätig werden darf. Dass der Betriebsrat praktisch dazu verpflichtet sei, mit dem Arbeitgeber Hand in Hand zu arbeiten. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings schnell klar, dass lediglich „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat“, dem Gremium Betriebsrat nicht zulässig sind. Die einzelnen Mitglieder des Gremiums können natürlich als Mitglieder einer Gewerkschaft zu Streiks und anderen Aktionen aufrufen. Und untersagt ist ihnen lediglich die parteipolitische Betätigung im Betrieb. Die „Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art“ ist sogar im Gesetzeswortlaut ausdrücklich erlaubt.

Ebenso wichtig wie die gemeinsame Koordination der Beschäftigten ist die Information über das Unternehmen. Der Wirtschaftsausschuss, der in Unternehmen mit über 100 Beschäftigten zu bilden ist, bietet die günstige Gelegenheit, wichtige Informationen über den Betrieb zu bekommen und diese dann auch zu verbreiten. Dieser Ausschuss des BR muss von der Geschäftsleitung über alle wirtschaftlichen Angelegenheiten unterrichtet werden. Es muss ihm Einsicht in alle wichtigen Unterlagen gewährt werden. Er hat also Möglichkeiten, zu erkennen, wohin Gelder fließen, wie die Rationalisierung voranschreitet, wohin das Unternehmen steuert. Kurzum, es besteht für die Mitglieder des Gremiums die Möglichkeit, auf Kosten des Unternehmers die Betriebsführung zu üben. Wer später einmal Betriebe übernehmen möchte, sollte auch wissen, wie diese funktionieren und aufrechterhalten werden können! Relevant wird der Wirtschaftsausschuss wahrscheinlich aber schon eher, wenn es nämlich darum geht, Firmenstrategien frühzeitig auszumachen und die Verteidigung der Arbeiterinteressen vorzubereiten.

Bei tief greifenden Betriebsänderungen, Umstrukturierungen oder gar Betriebsstilllegungen, besteht die Möglichkeit, dass der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung einen Interessenausgleich und Sozialplan abschließt. Einfluss auf diese Änderungen hat der Betriebsrat als Gremium allerdings nicht – er kann den Boss rechtlich nicht zwingen, dass zum Beispiel ein Betrieb nicht stillgelegt wird. Aber er kann wenigstens erreichen, dass Abfindungen gezahlt werden bei Kündigungen oder Fahrkostenausgleiche bei Versetzungen oder dass KollegInnen in andere Betriebsteile versetzt werden. Ein Sozialplan kann aber nur mit dem Betriebsrat abgeschlossen werden. Wo es also keinen Betriebsrat gibt, gibt es in den dargestellten Fällen für die Beschäftigten nichts. Ihnen bleibt dann nur der immer riskante Arbeitskampf. Immerhin, damit ließe sich eine Stilllegung auch verhindern. Das zeigten die ArbeiterInnen des Bosch-Siemens-Hausgerätewerks (BSH) in Berlin-Spandau im Herbst 2006 beispielhaft.

Ende offen

Wo es Betriebsräte gibt, haben die ArbeiterInnen durchaus mehr Rechte als in betriebsratslosen Betrieben. Der Arbeiterkampf bei BSH in Spandau zeigte aber auch, dass die gewählten VertreterInnen wirksam kontrolliert werden müssen, damit sie wirklich für die Interessen der Lohnabhängigen geradestehen. Diese Kontrolle kann nur eine organisierte, aktive und erfahrene Belegschaft ausüben. Der Schritt zum Sozialismus ist dann doch etwas größer als ihn Arbeitgeber und Zentralgewerkschaften sich vorstellen mögen.

Aber aufrechte „Charaktere“ können als Betriebsräte ihren Teil dazu beitragen, dass sich die KollegInnen einer Belegschaft organisieren und darin bereits vor „der letzten Schlacht“ notwendige Erfahrungen sammeln. Solche BR-Mitglieder haben die Gelegenheit, ihre Position im Sinne der Beschäftigten zu nutzen, ihnen Informationen zu besorgen, Hintergründe deutlich zu machen, ohne sich selbst zu korrumpieren. Umso leichter fällt ihnen das, wenn sie eine anarchosyndikalistische Gewerkschaftsgruppe im Rücken haben und dort Hilfe wie Kritik finden. So kann Kontakt entstehen zwischen kämpferischen SyndikalistInnen und Menschen, die mit den herrschenden Zuständen zwar nicht zufrieden sind, denen aber jahrelang Sozialpartnerschaft und Stellvertreterpolitik eingebläut wurde. Durch fundierte Informationen und entsprechend positive Beispiele seitens der Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglieder, seitens einer aktiven Basis in der Belegschaft sollte es möglich sein, die KollegInnen dazu zu bringen, über diese Zustände und auch über Alternativen nachzudenken. Viele Menschen in den Betrieben sind kritischer geworden, aber auch offener für „neue“ politische Ideen.

Das Thema in der DA:

  • (BSH-Streik) Wir können stolz sein, Du nicht. Die IG Metall gewinnt den Streik, die Streikenden verlieren ihre Jobs. In: DA 178 (November/Dezember 2006)
  • Fisch ohne Wasser. Die Stellung der FAUD zu Betriebsräten, Kollektivverträgen und Streikkassen. In: DA 175 (Mai/Juni 2006)
  • Betriebsräte. Das Beispiel Frankreich. DA 171 (Sept./Okt. 2005)
  • Zwischen Reform und Revolution. Die Stellung der FAUD zur Betriebsrätefrage. In: DA 157 (Mai/Juni 2003)

Kurt Tucholsky: „Die kleine, gelbe Blume des Verrats“

Na, Verräter eigentlich nicht. Ein Verräter ist doch ein Mann, der hingeht und seine Freunde
dem Gegner ausliefert, sei es, indem er dort Geheimnisse ausplaudert, Verstecke aufzeigt, Losungsworte preisgibt……und das alles bewusst. Nein, Verräter sind diese da nicht. Die Wirkung aber ist so, als seien sie welche.

Kitt ist eine Sache, die bindet nicht nur; sie hält auch die Steine auseinander. Zehn Jahre Gewerkschaftsführer; zehn Jahre Reichtagsabgeordneter; zehn Jahre Betriebsratsvorsitzender – das wird dann fast ein Beruf. Man bewirkt etwas. Man erreicht dies und jenes. Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine Feinde mehr. Nein. Ganz leise geht das, unmerklich. Bis jener Satz fällt, der ganze Reihen von Arbeiterführern dahingemäht hat, dieser infame, kleine Satz: „Ich wende mich an Sie, lieber Brennecke, weil Sie der einzige sind, mit dem man zusammenarbeiten kann. Wir stehen in verschiedenen Lagern – aber Sie sind und bleiben ein objektiver Mann…..“ Da steckt die kleine, gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras – hier, an dieser Stelle und in dieser Stunde. Da beginnt es.

Position der FAUD zu Betriebsräten:
Im Februar 1920 wurden die gesetzlichen Betriebsräte aufgrund des Betriebsrätegesetzes gewählt als Vertreter der Arbeiterschaft. Da ist es an der Zeit, dass sich die organisierten Arbeiter die Frage vorlegen:
Welchen Nutzen hatte die Arbeiterschaft aus der Tätigkeit ihrer „Räte“? Denn die Arbeiter versprachen sich gar viel aus dieser neuen „Machtposition“.
Ein Teil der „Räte“ kümmerte sich bald nicht mehr darum, dass sie nur die Beauftragten ihrer Wähler sein sollten. Sie verhandelten selbständig mit den Unternehmern und verhandelten dabei fast regelmäßig die Interessen der Arbeiter an das Ausbeutertum. Selbst aber schuf man sich eine möglichst gesicherte Position. Aus den „Arbeiterräten“ wurden allmählich richtiggehende Kartoffel- und Gemüsehändler und Kurzwarenschieber.
Die Vertretung der Arbeiterinteressen überließ man Regierung und organisiertem Ausbeutertum. In den Betriebsversammlungen aber redeten die „Räte“ große Töne. Wenn ein Arbeiter das Gebiet der Politik betrat in seinen Ausführungen, dann schnitt ihm sein „Rat“ das Wort ab: Die Belegschaften haben sich nur mit wirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen, politische Angelegenheiten gehörten nicht hierher. (…) Heute schimpfen die Betriebsräte in Versammlungen auf die Gewerkschaftsbonzen, morgen sind sie selbst Gewerkschaftsbeamte. Und die Mitglieder dürfen wieder höhere Beiträge zahlen. Die soziale Frage für eure gewählten Interessenvertreter ist wieder mal gelöst. Arbeiter ! Seht euch eure Vertreter genau an. Und wenn ihr wieder einmal „Räte“ wählt, dann prüft sie vorher auf Herz und Nieren, ob sie innerlich so festverankerte Charaktere sind, dass sie nicht zu euren Herren werden können, sondern dass sie ihre Tätigkeit einsetzen für das Allgemeinwohl, für den Syndikalismus!


Der Syndikalist, Nr. 1, Februar 1921

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