Auf der Bahn

podiumsdiskussion.jpg

Ohne Simultanübersetzung ging wenig, denn die TeilnehmerInnen des „4. Treffen für eine kämpferische Bewegung der ArbeiterInnen“ sprachen in insgesamt fünf Sprachen miteinander. Aus allen Richtungen waren sie angereist, um gemeinsam in Bellinzona Möglichkeiten des Widerstandes auszuloten.

Doch der Reihe nach: Anfang März 2008 verkündeten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) die Schliessung des Ausbesserungswerkes „Officine“ in Bellinzona im Tessin. Die 430 ArbeiterInnen traten sofort in einen unbefristeten Streik, gestandene AktivistInnen aus der Belegschaft bildeten ein Streikkomitee. Nach 31 Tagen Streik und Besetzung willigte die SBB ein, bis 2010 die Officine zu erhalten und keine Entlassungen durchzuführen – dieses Versprechen wurde zwischenzeitlich bis 2013 verlängert. Die Officine ist einer der wenigen Kämpfe der letzten Zeit, bei dem Betriebschliessung und Entlassungen kompromisslos verhindert werden konnten.

Das Streikkomitee wollte diese Erfahrung weiter geben und lud seitdem vierteljährlich zu Treffen ins Tessin. Auch der Doku-Film „Giù le Mani“ von Danilo Gatti trug im weiteren In- und Ausland zur Verbreitung der Geschichte bei. Einen ersten praktischen Nutzen daraus zogen die kämpfenden ArbeiterInnen der INNSE in Mailand, die – von Parteien und Gewerkschaften ignoriert – aus dem Kampf der Officine viel Mut schöpften.

Am 12. September fand das vierte Treffen dieser Art statt. Vor allem der „revolutionäre Aufbau“ und die Leute vom Streikkomitee hatten sich ins Zeug gelegt und viele ArbeiterInnen und UnterstützerInnen eingeladen.

Rund hundert Leute kamen schliesslich nach Bellinzona und wurden von Gianni Frizo, dem „Streikführer“ der Officine, begrüsst. In der Begrüssungsrede betonte er die Wichtigkeit einer Antwort auf die Krise und zeigte dies an den aktuellen Massenentlassungen auf. Ein anderes Mitglied des Streikkomitees erklärte, dass er kürzlich an einem Streik-Seminar der grössten Gewerkschaft der Schweiz UNIA teilnehmen wollte, welches dann aufgrund mangelnder Anmeldungen gar nicht stattfand. In Anbetracht dessen, dass die Zentralgewerkschaften den Ernst der Lage verschlafen oder mitgestalten, war es umso hoffnungsvoller, dass unabhängige Strukturen ein derartiges Treffen zustande gebracht hatten.

Unmöglichkeiten und Möglichkeiten des Widerstandes

Die Eingeladenen stellten nach den ersten Einleitungen die Situation in ihren Betrieben und ihre Kämpfe vor. So erzählte ein Informatiker von Siemens Österreich, wie sein Betrieb von 3.500 Beschäftigten auf 2.200 – mit einem hohen Anteil an Leihkräften – heruntergefahren wurde. Aber auch der „Giù le mani“-Film wurde dort zweimal nach und einmal während der Arbeitszeit gezeigt.

Ein Arbeiter des Paketzusteller UPS berichtete von ihren über das „Netzwerk IT“ organisierten Aktivitäten und über das effektive „union busting“ dieser Firma. Aktivistinnen der während des Streiks in Bellinzona entstandenen Frauengruppe „Officine donne“ erzählten, wie sie ein Theater über den Streik gemacht und aufgeführt haben.

Andere gingen mehr auf die allgemeine Situation ein: Die etappenweise Abwicklung der Krise über Leihkräfte und Kurzarbeit bei gleichzeitigem Herunterspielen jedes Widerstandes durch Medien und Zentralgewerkschaften wie zum Beispiel während des Hungerstreiks der VW-LeiharbeiterInnen in Hannover. Kurzfristig absagen musste ein S-Bahn-Arbeiter aus Berlin, weil dort gefährliche Wartungsmängel bei Achsen und Bremsen aufgetaucht waren.

Am Nachmittag teilten sich die Leute in Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen auf, darunter eine gut besuchte Diskussion zu prekären Arbeitsbedingungen von Frauen und eine zu Kündigungen von Gewerkschaftsaktivisten, denn in der Schweiz gibt es quasi keinen gesetzlichen Kündigungsschutz.

Kritisch anzumerken bleibt, dass die Diskussionen auffällig oft durch „Aufbau“-Leute oder Trotzkisten (an-)geleitet wurden und das die Leute das eine oder andere Mal mit viel zu langen, selbstdarstellerischen Reden gelangweilt werden konnten.

Das wichtigste Resultat dieser Treffen sind wohl die bislang hergestellten Ansätze von Vernetzung zwischen den AktivistInnen. Die TeilnehmerInnen nehmen viele Inputs mit nach Hause – mal sehen, was bis zum nächsten Mal daraus entstehen kann.

Christian Hadorn

 

Wann das nächste Treffen stattfindet, ist noch nicht bekannt, wahrscheinlich aber im Frühjahr 2010. Für Interessierte wird die FAU Bern nach Absprache Schlafmöglichkeiten organisieren. Kontakt: info(at)faubern.ch

Schreibe einen Kommentar