Ein mieses Spiel

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Am 4. September 2009 nahm die serbische Polizei in einer groß angelegten Aktion vier AktivistInnen aus der libertären Bewegung der Hauptstadt Belgrad fest. Eine fünfte Person wurde kurz darauf verhaftet. Wenige Tage später setzte die Polizei einen sechsten Aktivisten fest. Zunächst war völlig unklar, was die Hintergründe dieser Polizeiaktion waren. Die einzige Gemeinsamkeit der Verhafteten war, dass es sich bei fünf von ihnen um Mitglieder oder SympathisantInnen der „Anarhosindikalistička inicijativa“ (ASI) handelt. Diese Gruppe, zu deutsch „Anarchosyndikalistische Initiative“, ist die serbische Sektion der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA), der Internationale der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften. In Belgrad befindet sich derzeit auch das Sekretariat der IAA. Unter den fünf verhafteten Mitgliedern der ASI – Tadej Kurepa, Ivan Vulović, Sanja Dojkić, Ratibor Trivunac und Nikola Mitrovic befindet sich auch der Generalsekretär der anarchosyndikalistischen Internationale. Der sechste Inhaftierte, Ivan Savic, gehört nicht der ASI, sondern einer anderen libertären Gruppe der serbischen Hauptstadt an.

Nachdem zunächst nichts über die Hintergründe der Verhaftungswelle in Erfahrung zu bringen war, ließ die Staatsanwaltschaft verlauten, man habe die Verhaftungen aufgrund des Verdachts der Teilnahme an einem Akt von „internationalem Terrorismus“ vorgenommen. Sie bezog sich dabei auf einen Angriff gegen das Gebäude der griechischen Botschaft in Belgrad, der am 25. August, wenige Tage vor den Verhaftungen, stattgefunden hatte. Bei der Aktion war eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen und die Außenmauer durch eine Brandflasche etwas angeschwärzt worden. Die Täter hatten ein aufgemaltes A im Kreis hinterlassen. Kurz nach der Aktion hatte sich eine unbekannte Gruppe zu der Kokelei bekannt und diese als Solidaritätsaktion für den inhaftierten griechischen Anarchisten Thodoros Iliopoulos deklariert. Thodoros war während der Revolte der griechischen Jugend im Dezember 2008 inhaftiert worden und befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs seit einigen Wochen im Hungerstreik. Offensichtlich nicht zuletzt aufgrund politischen Drucks aus EU-Kreisen hatte die serbische Staatsanwaltschaft das Verfahren an sich gezogen und das schwerste Geschütz aus dem strafrechtlichen Arsenal des Balkanstaates aufgefahren. Die Strafandrohung für ein Vergehen im Rahmen des „internationalen Terrorismus“ liegt bei 3 bis 15 Jahren.

Untersuchungshaft und Ungewissheit

Die Staatsanwaltschaft ordnete sofort eine dreißigtägige Untersuchungshaft für alle Beteiligten an. In dieser Zeit kann die Polizei Verhöre durchführen und Beweise für ein Verfahren sammeln. Die Häftlinge unterliegen ihrerseits Bedingungen von Kontaktsperre und Isolation. Für den Fall, dass 30 Tage nicht ausreichen, kann die Staatsanwaltschaft im Falle eines Vergehens im Rahmen des „internationalen Terrorismus“ die Untersuchungshaft auf bis zu sechs Monate verlängern. Die 30-Tagesfrist verfiel am 3. Oktober unter anderem deshalb, weil als Zeugen einbestellte Angehörige der griechischen Botschaft zu ihrer Vorladung nicht erschienen waren. Am 9. Oktober beantragte die Staatsanwaltschaft eine Verlängerung um weitere zwei Monate. Der Richter beschloss, dass die Verhafteten zunächst einen Monat lang weiter im Knast bleiben sollen. Am 12. Oktober beschlagnahmte die Polizei den Computer eines der Inhaftierten und kündigte an, weitere Mitglieder der ASI als ZeugInnen vorladen zu wollen. Es ist offensichtlich, dass die Staatsanwaltschaft nichts gegen unsere GenossInnen in der Hand hat und hektisch nach Begründungen sucht, sie weiter in Haft halten zu können.

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Es stellt sich natürlich die Frage, wieso die Staatsanwaltschaft sich bei ihren Ermittlungen derart auf Mitglieder der ASI konzentriert, obwohl sie bislang offenbar keinerlei Beweise für eine Beteiligung von Mitgliedern der Gewerkschaft hat und diese auch erklärt hat, dass Aktionen wie die gegen die griechische Botschaft nicht zu ihrem Repertoire an Aktionsformen gehören. Der Grund für die Ermittlungen dürfte in einer Politik des „Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen“ zu finden sein. Die Anarchosyndikalistische Initiative ist in der serbischen Öffentlichkeit sehr bekannt und tritt immer wieder durch Aktionen im Rahmen von sozialen Kämpfen und durch Interviews in Erscheinung. Erst kürzlich prognostizierte der Publizist Gojko Vlaović in der serbischen Zeitung „Danas“, dass das Land ein „fruchtbarer Boden“ für den Anarcho-Syndikalismus sei, der durch seine Unabhängigkeit vom Staat und von Parteien und seine Praktiken der direkten Aktion für viele ArbeiterInnen interessant sei. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die serbische politische Klasse und ihre Justiz an der ASI ein Exempel statuieren wollen. Zum einen, weil sie eine der wenigen offen agierenden libertären Gruppen in Serbien ist, zum anderen weil man sie als gewerkschaftliche Alternative gerade in Krisenzeiten auf diese Weise schwächen und in ihrem Ansehen schädigen will. Für die Inhaftierten könnten diese politischen Manöver dramatische Konsequenzen haben. Nur wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass serbische GenossInnen inhaftiert wurden, begannen weltweit Solidaritätsaktionen für die Verhafteten. In vielen Ländern fanden in der Zwischenzeit Proteste vor serbischen Botschaften und Konsulaten statt. Alleine auf Initiative der FAU haben bislang sieben Aktionen u. a. in Berlin, Braunschweig, Frankfurt/Main und Hamburg stattgefunden, auf denen die Freilassung der Verhafteten und die sofortige Einstellung der Verfahren gefordert wurde.

r.

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Solidarität jetzt!

Zur Unterstützung der serbischen GenossInnen wurden zwei Websites eingerichtet, die über die Hintergründe, die Aktionen und die Möglichkeiten zur Unterstützung in mehr als 25 Sprachen informieren. Dort habt ihr auch die Möglichkeit, einen Protestbrief an die Verantwortlichen zu schicken. Dringend erforderlich sind auch Spenden für die juristische Unterstützung der serbischen GenossInnen. Wenn ihr die Möglichkeit habt, Soli-Konzerte etc. zu veranstalten, nutzt bitte das nebenstehende Unterstützungs-Konto. Die Sektionen der IAA und viele andere Gruppen weltweit haben deutlich gemacht, dass sie nicht eher Ruhe geben werden, ehe die GenossInnen wieder auf freiem Fuß und die konstruierten Verdächtigungen vom Tisch sind. Wir würden uns freuen, wenn sich viele LeserInnen daran beteiligen. 

Spendenkonto:
FAU
Konto 961 522 01
Postbank Hamburg
BLZ: 200 100 20
Stichwort: Belgrade 6

Weitere Informationen

Mehrsprachige Soli-Site: http://asi.zsp.net.pl/

Englischsprachiges Blog: http://www.belgradesolidarity.org/

Online-Protestschreiben: http://asi.zsp.net.pl/free-the-anarchists/emailpage/

Aktuelles in deutscher Sprache: http://www.fau.org

 

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