Prekärer Protest

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Der Bildungsstreik wurde bisher in erster Linie von SchülerInnen, LehrerInnen und Studierenden getragen. Nur eine Minderheit des Personals an den Hochschulen hat sich aktiv daran beteiligt. Dabei hätten die Beschäftigten an den Hochschulen selbst genügend Gründe zum Protest.

Die Hochschulen leiden seit Jahrzehnten an einer chronischen Unterfinanzierung und Personalknappheit. Mit den steigenden Studierendenzahlen ist die Arbeitsbelastung der Beschäftigten an den Hochschulen stetig gestiegen. Die neoliberalen und autoritären Hochschulreformen der letzten Jahre zielten nicht zuletzt darauf, die Arbeitsbedingungen des Hochschulpersonals weiter zu verschlechtern. Nehmen wir die hessische Hochschulpolitik als Beispiel: Im Jahr 2000 stärkte die CDU-FDP-Landesregierung die Präsidien der Hochschulen und schränkte die Selbstverwaltung der Fachbereiche und die Mitbestimmung der Studierenden und der Beschäftigten ein. Diese Linie wurde mit verschiedenen Novellierungen der Hochschulgesetzgebung in den folgenden Jahren weiter verfolgt. 2004 trat die hessische Landesregierung aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus, um Arbeitszeitverlängerungen und Lohnsenkungen für die Beschäftigten des Landes durchzusetzen. 2007 wurde die J.W. Goethe-Universität in Frankfurt/M., an der ich zur Zeit arbeite, in eine Stiftungsuniversität umgewandelt und damit noch stärker als bisher für die Interessen privater Kapitalgeber geöffnet. Die halb-privatisierte Universität kann nun auch bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen eigene Wege beschreiten. Die Universitätsleitung versucht, Arbeitszeitverlängerungen und einen Abbau des Kündigungsschutzes durchzusetzen. Seit zwei Jahren bemühen sich ver.di und die GEW erfolglos, einen Haustarifvertrag abzuschließen, der wenigstens den bisherigen Status quo sichert. Ein Tarifabschluss an der Universität Frankfurt ist bisher an der geringen Kampfbereitschaft oder Kampfkraft der Beschäftigten gescheitert.

Gewerkschaftliche Organisierung: Mangelhaft

Woran liegt es, dass die gewerkschaftliche Organisierung an den Hochschulen so schwach ist? Eine Ursache sind sicherlich die sehr unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnisse und die unterschiedlichen Interessen, die daraus resultieren.

Die deutschen Professoren waren als Beamte seit jeher sehr staatsnah und eher konservativ. Auch ein traditioneller Standesdünkel mag hier eine Rolle spielen: Man hält sich als Wissenschaftler für genial und glaubt, dass man es nicht nötig habe, sich kollektiv zu organisieren. Zwar verschlechtert sich auch die Lage der Professoren durch die neuen Hochschulreformen: Viele werden nicht mehr verbeamtet, sie werden zum Teil zunächst nur befristet eingestellt; ein Teil ihres Gehalts ist von der Beurteilung durch die Hochschulleitung abhängig; die Ausstattung der Professuren hängt zunehmend von der Einwerbung von „Drittmitteln“ (Geldern privater Geldgeber) ab; die Professoren müssen immer mehr Verwaltungsarbeit übernehmen und haben immer weniger Zeit für Forschung und Lehre. Doch die Einführung marktähnlicher Steuerungsinstrumente in den Hochschulen und die Verschärfung von Konkurrenz und Leistungsdruck erleichtern die kollektive Organisierung und den Protest nicht, im Gegenteil. Die Erfahrungen des Bildungsstreiks zeigen, dass viele Professoren sich nicht einmal mehr trauen, sich wie normale Staatsbürger zu verhalten und ihre Meinung frei zu äußern, weil sie negative Konsequenzen für ihr Verhältnis zur Hochschulleitung befürchten.

Unterstützung für den Bildungsstreik kommt eher von Seiten des sogenannten „Mittelbaus“, also der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen bzw. der Lehrenden, die keine Professuren innehaben. Und dies, obwohl die Lage des Mittelbaus prekärer ist als die der Professoren. Je höher AkademikerInnen in der Hierarchie an der Hochschule klettern, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie sich oppositionell betätigen. Aber auch im Mittelbau ist es nur eine Minderheit, die sich oppositionell engagiert.

Unterwürfigkeit: Sehr gut

Der Mittelbau befand sich in der alten Ordinarienuniversität in einer quasi feudalen Abhängigkeit von den Professoren. Die demokratischen Hochschulreformen der frühen 1970er Jahre haben daran nicht viel geändert. Die Professoren haben als Vorgesetzte die Möglichkeit, Mehrarbeit auf ihre MitarbeiterInnen abzuwälzen. Wer an der Hochschule Karriere machen will, war und ist auf das Wohlwollen einzelner Personen angewiesen. Mit der reaktionären Entwicklung der letzten Jahre verstärkt sich diese alte Abhängigkeit wieder, was eine einheitliche Artikulation der Interessen der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen erschwert. Diese tendieren dazu, in den hochschulpolitischen Auseinandersetzungen die Sichtweise ihres jeweiligen Chefs zu übernehmen.

<“Arial, sans-serif”>Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau in den letzten Jahren ungeheuer ausdifferenziert wurden, was ganz unterschiedliche Interessen mit sich bringt und die gemeinsame Organisierung erschwert.

Ein großer Teil der Lehre wird von Lehrbeauftragten erledigt, die zum Teil keinerlei Vergütung oder allenfalls ein lächerlich geringes Honorar für ihre Lehrtätigkeit erhalten. Ein Lehrbeauftragter kann von seiner Arbeit nicht leben, es sei denn, er hat gleichzeitig mehrere Lehraufträge. Lehrbeauftragte gehen in der Regel noch einer anderen Erwerbstätigkeit nach und übernehmen die Lehraufträge vor allem, um sich weiter zu qualifizieren und Lehrerfahrung zu erwerben. Manchmal handelt es sich auch um Linke, die bereit sind, unbezahlt oder für einen geringen Lohn zu arbeiten, um ihre Kritik der herrschenden Verhältnisse überhaupt in die Hochschulen tragen zu können.

Forschung und Lehre: Schwach ausreichend

Die herrschende Hochschulpolitik hat auf die steigenden Studierendenzahlen u.a. mit der Einrichtung von „Hochdeputatsstellen“ reagiert. Hier handelt es sich um befristet eingestellte Lehrkräfte, die umfangreichere Lehrverpflichtungen als Professoren haben, einen niedrigeren Lohn als diese erhalten und keine Zeit für Forschung haben, so dass sie sich nicht weiter qualifizieren können.

Eine weitere problematische Konstruktion der letzten Jahre ist die „Juniorprofessur“. Die befristet beschäftigten Juniorprofessoren haben die gleichen Pflichten wie ein regulärer Professor, was die Teilnahme an der Verwaltung, das Einwerben von Drittmitteln etc. anbelangt. Anders als für die assistent professors im angelsächsischen Raum, gibt es für die Juniorprofessoren aber keinen tenure track, also in der Regel keine Möglichkeit, entfristet zu werden. Gleichzeitig wurde die Habilitation (Prüfungsverfahren zur Lehrbefähigung) in Deutschland nicht abgeschafft, so dass sich viele Juniorprofessoren weiterhin genötigt fühlen, zu habilitieren, um Aussicht auf eine Professur zu haben.

Eine Spaltung besteht nicht nur zwischen Professoren und Mittelbau, sondern auch zwischen dem wissenschaftlichen und dem nicht-wissenschaftlichen Personal. Die Kämpfe dieser Gruppen verlaufen weitgehend getrennt voneinander. Das nicht-wissenschaftliche Personal ist hauptsächlich bei ver.di organisiert, das wissenschaftliche Personal zum Teil bei der GEW. Bestimmte Dienste wie z.B. die Gebäudereinigung oder Hausmeister- und Wachdienste sind vielfach längst an Fremdfirmen ausgegliedert worden; die Belange dieser Beschäftigten werden in den hochschulpolitischen Auseinandersetzungen kaum berücksichtigt.

Klassenziel Klassenkampf: Stark gefährdet, aber möglich

Dass eine erfolgreiche gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten an den Hochschulen nicht ganz ausgeschlossen ist, zeigt z.B. ein Blick nach Kanada. An der York University in Toronto sind die Lehrenden gewerkschaftlich organisiert und haben durch Streik eine Reduzierung ihres Lehrdeputats erreicht. Allerdings sind die Erfahrungen aus anderen Ländern auch nicht ohne weiteres übertragbar, weil die Bedingungen für eine gewerkschaftliche Organisierung doch sehr unterschiedlich sind. Hierzulande haben Tutoren und Hilfskräfte schon erfolgreich für Lohnerhöhungen und für eine tarifliche Regelung ihrer Arbeitsverhältnisse gestreikt.

Es wäre zwar wünschenswert, dass die Beschäftigten an den Hochschulen gegenüber den Regierungen und den Hochschulleitungen an einem Strang ziehen, aber angesichts der unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnisse und Interessenlagen ist eine einheitliche Artikulation der Interessen der lohnabhängig Beschäftigten an den Hochschulen schwierig. Realistischer ist, dass subalterne Gruppen für ihre je spezifischen Interessen kämpfen – und dadurch die Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Thomas Sablowski

Thomas Sablowski unterrichtet Politik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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