„Es gibt kein Vertrauen“

Der Fall Emmely hat die Gemüter erregt. Die DA sprach mit einer Kellnerin, der schon einmal wegen Verdachts auf Diebstahl gekündigt wurde. Sie möchte aus naheliegenden Gründen anonym bleiben.


Auch du hast den Fall Emmely genau verfolgt. Warum?

Vor einigen Jahren wurde ich in einem Gastronomiebetrieb gekündigt, weil der Chef mich verdächtigt hatte, ich würde mich an der Kasse bedienen. Allerdings habe ich nichts unternommen. Mit 19 Jahren dachte ich, das wäre sinnlos, sein Verdacht war ja richtig. Ich hatte geklaut wie ein Rabe – aus Prinzip. Klar, dass Emmely da meine Aufmerksamkeit hatte.

Emmely als Heldin der Diebe?

Nein, das ist nicht der Punkt. Was mich am meisten aufgeregt hatte, war, in welche Richtung die Debatte gedrückt wurde: Gestohlen sei gestohlen. Dass das Ganze offensichtlich ein Vorwand war, um eine streikende Angestellte loszuwerden, wurde systematisch ausgeblendet, auch wenn Emmely und ihre Unterstützer das immer wieder betont haben. Viele sind darauf reingefallen.

Was ist dann der Punkt?

Wenn man nur ein wenig Verständnis von den Ausbeutungsverhältnissen hat, stellt sich die Frage doch ganz anders. Selbst wenn sie etwas geklaut hätte, sollten wir das in Schutz nehmen. Das Verhalten von ver.di, die da anscheinend Angst hatte, sich hinter Emmely zu stellen, weil sie womöglich eine „Diebin“ sein könnte, ist da nur peinlich. Ich meine, die Bosse bestehlen uns die ganze Zeit, und ich sehe es als unser Recht an, uns da etwas zurückzunehmen. Das ist auch Teil des Klassenkonflikts. Es gibt kein Vertrauen zwischen Bossen und ArbeiterInnen.

Kannst du konkreter werden?

Egal, wo ich bisher gearbeitet hatte, habe ich versucht, mein Einkommen heimlich zu verbessern. Sei es, indem ich Produkte oder Materialien mitgehen lassen habe, sei es, indem ich gelegentlich in die Kasse gegriffen habe. Diese stille Sabotage ist doch Alltag. Soviel ich weiß, kalkuliert die Wirtschaft sogar mit diesem Schwund. Klar, das wird immer schwieriger, wegen der ganzen Überwachung. Aber Schlupflöcher findet man immer. Man muss das sogar, wenn man, wie ich, ständig nur prekäre Teilzeitjobs hat.

Alle tun das?

Alle meine Bekannten schon. Aber die haben ja auch einen Klassenstandpunkt. Bei vielen meiner Kollegen bin ich mir nicht sicher. Da gibt es ja auch einige, die ihre Kollegen sogar im vorauseilenden Gehorsam anschwärzen, wenn die Mal zu lange Pause gemacht haben – dieser Untertanengeist. Das sind dann auch die, die voller Inbrunst meinen, dass Leute wie Emmely gefeuert gehören. Weil sie sich selbst nicht trauen, mal aufzumucken, müssen sie das wohl auf diese Weise kompensieren.

Es ist also eine Frage des Klassenstandpunkts?

Ja und nein. Das passiert auch ohne. An manchen Arbeitsplätzen ist die Verlockung einfach zu groß, mal etwas mitgehen zu lassen. Gerade wenn du lange irgendwo arbeitest, entfällt immer mehr diese Schranke im Kopf, dass das nicht dir gehöre. Der Klassenstandpunkt ist eher entscheidend für die Diskussion. Man sieht es ja am Fall Emmely, wo die öffentliche Diskussion formaljuristisch geführt wurde. Das Ausbeutungsverhältnis stand im Hintergrund. Hoffentlich kommt da jetzt etwas in Gang. Es kann ja nicht sein, dass die Bosse Milliarden verzocken und Leute wegen wegzuwerfenden Maultaschen als Diebe gebrandmarkt werden.

Vielen Dank für das Interview.

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