Die Kunst des richtigen Wehtuns

Der Frühling fiel hierzulande nicht gerade heiß aus. In Ermangelung sozialer Brände, wie sie das neue Jahr in anderen Ländern brachte, richtete sich die Aufmerksamkeit auf wenige größere Streiks, etwa den Kampf der Lokomotivführer für einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag, den Streik am Charité-Krankenhaus in Berlin und die Abwehrkämpfe von RedakteurInnen etlicher Tageszeitungen, denen eine Verschlechterung der Tarife drohte.[1]Zur Situation bei den Printmedien siehe „Wortarbeit in der Krise“ (DA Nr. 202) Sie wurden z.T. kontrovers diskutiert, weil sie – wie viele Streiks – Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben hatten, sei es auf Fahrgäste, Patientinnen oder Zeitungsleser. Natürlich sind diese Arbeitskämpfe legitim, und das Wehklagen in den Medien über die Streikauswirkungen wirkt geradezu hysterisch.[2]Siehe dazu die Kolumne Durruti in der DA Nr. 205 Allerdings sei auch der Einwand erlaubt, dass die Wahl der Kampfformen manchmal Züge eines Automatismus annimmt: Entziehung der Arbeitskraft – basta!

Dass eine Modifikation der Kampfformen immer möglich ist, zeigte bereits 2006 der Streik bei der Müllabfuhr in Baden-Württemberg. Dort gingen die Belegschaften nach Wochen des unbefristeten Streikens dazu über, die Arbeit zeitweilig wieder aufzunehmen, um in der Folge kurzfristiger in den Streik zu treten. Die „Arbeitgeber“ sollten dadurch schlechter abschätzen können, wann gestreikt und wann gearbeitet wird. Zudem sollte der Einsatz privater Firmen als Streikbrecher teuer und unplanbar werden. Die Rechnung ging letztlich auf.

Es lohnt sich also zu überlegen, welche Kampfformen unter den gegebenen Umständen am zielführendsten sind. Und zwar nicht nur unter dem Aspekt des unmittelbaren Erfolgs, sondern auch in Hinblick auf die Entwicklung einer breiten Bewegung mit antikapitalistischer Zielsetzung. Insbesondere dort, wo Menschen existentiell von der Arbeitsleistung anderer abhängig sind, etwa im Pflege-, Gesundheits- oder Sozialbereich, erlangt die Streikproblematik größere Relevanz. Taktisches Feingefühl ist gefragt. Im Folgenden soll es um die generellen Möglichkeiten so genannter „kundenfreundlicher“ Arbeitskampfformen gehen. Die aktuellen Ereignisse dienen dabei als Anlass, die Problematik und Lösungskonzepte aus syndikalistischer Sicht darzustellen.[3]Der historische Syndikalismus kannte dafür auch die „Aktion der sozialen Verantwortlichkeit“, auf die hier leider nicht eingegangen werden kann.

Der Streik der GDL

In den vergangenen Monaten bestreikte die GDL die Deutsche Bahn (DB) und sechs Privatbahnen.[4]Zum Redaktionsschluss hatte die GDL Tarifverträge mit der DB und dem privaten Schienengüterverkehr abgeschlossen, die damit für rund 90% aller Lokführer gelten. Bei einigen kleinen Bahnunternehmen dauern Verhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen noch an.Zunächst richtete sich der Streik gegen den Güterverkehr, später wurde auch der Personenverkehr einbezogen. Damit waren auch die Bahnreisenden vom Streik betroffen. Dennoch gab es – und trotz der üblichen Stimmungsmache vieler bürgerlichen Medien à la „Streik macht Pendler wütend!“ (Bild) – eine nicht zu verkennende Solidarität in der Bevölkerung. Doch wie viel größer hätte die Unterstützung sein können, wenn der Streik andere Formen angenommen hätte?

Dass es auch anders geht, zeigt etwa der Straßenbahnstreik 1990 im australischen Melbourne. Dort fuhren die Bahnen pünktlich wie immer – aber zum Nulltarif. Nur die Kassierung des Fahrgelds wurde bestreikt und die Streikenden sorgten dafür, dass ihre Fahrgäste nicht durch KontrolleurInnen „belästigt“ wurden.[5]Siehe „Melbourne 1990: Direkte Aktion im Nahverkehr“ (DA Nr. 187). Solche Methoden ließen sich weiterdenken: So könnten EisenbahnerInnen in den Bahnhöfen nette, effizienzwidrige Angebote machen, z.B. kostenlose Getränke und zusätzliche Infodienste, Fahrgästen mit Kinderwagen oder schwerem Gepäck helfen usw. Gekoppelt mit gezielten Arbeitskampfmaßnahmen, etwa gegen die Unternehmenszentrale, wäre eine solche renditefeindliche Fürsorglichkeit ideal, um die Rolle der Verkehrsmittel als Institution der öffentlichen Daseinsvorsorge zu unterstreichen und die Profitorientierung des Unternehmens in Frage zu stellen.

In dieser Hinsicht sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Allerdings bleibt stets zu erwägen, inwieweit eine breite Sympathie in der Öffentlichkeit den handfesten ökonomischen Druck eines Streiks ersetzen kann. Wo Unternehmen stark von ihrem Image abhängen, kann sie durchschlagend wirken, woanders an der Ignoranz der Bosse abprallen.[6]Gerade im Bahnbereich (einem sog. „natürlichen Monopol“), ist die Konkurrenz zur DB ja gering, so dass sie sich kaum um Kundeninteressen und -wünsche kümmern muss. Dabei muss eine Solidarisierung von KundInnen nicht nur symbolisch sein; in ihrer Rolle als KonsumentInnen können sie ebenfalls, etwa durch Boykott bzw. Konsumstreik, ökonomischen Einfluss nehmen.[7]Dabei sind auch effiziente Aktionseinheiten denkbar, indem die Interessen von KundInnen einbezogen werden. So hat z.B. die italienische Basisgewerkschaft COBAS bereits bei Arbeitskämpfen im Nahverkehr auch Verbesserungen für die Fahrgäste gefordert.

Der Charité-Streik

Die Grenzen eines mechanisch verstandenen Streikkonzepts zeigte der im Mai an der Charité geführte Arbeitskampf. Nach der Urabstimmung rief ver.di Anfang Mai zu einem unbefristeten Streik auf und forderte für die Beschäftigten 300 Euro brutto mehr im Monat. Am ersten Streiktag beteiligte sich nach ver.di-Angaben ein knappes Fünftel der 10.000 Beschäftigten. Nur vier Tage später wurde der Streik ausgesetzt, nachdem die Klinikleitung ein verbessertes Angebot vorgelegt hatte.

Es ist stets ein Spagat, im Pflegebereich zu streiken. Man möchte die eigenen Interessen wahren, fühlt sich aber zugleich den PatientInnen verantwortlich. Und auch ver.di hatte im Vorfeld des Streiks mit der Klinikleitung eine Notdienstvereinbarung getroffen, damit alle lebensbedrohlich Erkrankten behandelt würden. So gesehen, wirkte die Betriebsleitung am Streik planerisch-partnerschaftlich mit.

Letztlich endete der Streik mit der Annahme eines halbherzigen Kompromisses durch die Gewerkschaftsmitglieder.[8]Eine Anhebung der Löhne soll stufenweise bzw. prozentual erfolgen, bis sie zum Dezember 2014 das Niveau des bundesweit geltenden Tarifvertrages im öffentlichen Dienst erreichen. Einige Verbesserung gibt es in Sachen Kündigungsschutz und Weihnachtsgeld. Die nächsten Konflikte zeichnen sich aber bereits ab, da die Problematik der Arbeitsbelastung bisher – auch im Streik selbst – nur unzureichend thematisiert wurde. Chronische Unterbesetzung an vielen Stationen und das Fehlen eines effizienten Springerdienstes sorgen dafür, dass die Situation nach wie vor brisant ist.

Hätte man auch hier durch die Wahl anderer Kampfformen einen erfolgreicheren Streik führen können? Was wäre etwa gewesen, wenn man die Büros der Charité-Leitung besetzt und das leitende Personal zumindest stundenweise festgesetzt hätte? Das hätte ihre Bereitschaft zum Einlenken vermutlich erhöht und zugleich die Patientenversorgung kaum beeinträchtigt. Man hätte so womöglich mehr erreicht als mit einem komplizierten und unangenehmen Teilstreik, den man so nur führt, weil man sich an ritualisierten Aktionsformen festklammert. Ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt, dass solche Mittel in anderen Ländern (z.B. in Frankreich) durchaus Anwendung finden. Allerdings ist so etwas leicht postuliert. Denn wie hoch die Bereitschaft der KollegInnen zu solch militanteren Aktionen wäre, bleibt derzeit fraglich.

Der „Scheißstreik“

Wer in keinem herkömmlichen Betrieb sondern eher vereinzelt arbeitet, wie dies im Pflegebereich oft der Fall ist, verfügt häufig nur über geringe Druckmittel. Und überhaupt: Wie kann man kämpfen, ohne den betreuten Personen zu schaden? Dazu gibt es viele Diskussionen, etwa wie sie rund um den so genannten „Scheißstreik“ geführt wurden.[9]Siehe www.jenseits-des-helfersyndroms.de. Dieser fand 2009, ausgehend von Berlin, in der Behindertenassistenz statt,[10]Allein in Berlin gibt es annähernd 200 sog. „AssistenznehmerInnen“. Die ca. 1.000 Beschäftigten, die für sie arbeiten, sind zum überwiegenden Teil bei drei großen Assistenzanbietern angestellt. wo Löhne um die 6,50 Euro, befristete Arbeitsverträge und die Nichtexistenz von Nachtzuschlägen üblich sind.

Es war kein Streik im klassischen Sinne, sondern eher eine Protestaktion. Sie richtete sich gegen „unterschiedliche private und gemeinnützige Pflegedienstanbieter, an die paritätischen Wohlfahrtsverbände, politischen Entscheidungsträger, Zeitarbeitsfirmen, Vermittler von ausländischen Billigpflegekräften und alle anderen, die als einzigartiges Interessenskartell dafür sorgen, den gesamten Pflegebereich in den Niedriglohnsektor zu drücken“, wie es in einem Flyer hieß. Die Kampagne bestand vor allem darin, mit Kot befüllte Röhrchen an die für die miserablen Arbeitsbedingungen Zuständigen zu schicken. Sie war anscheinend eine Verlegenheitsreaktion, weil man nicht wusste, wie man effizient kämpfen kann, ohne den Pflegesubjekten zu schaden.

Die Beteiligung am Scheißstreik blieb eher mäßig, resümierte damals die DA, die dabei auf den „rein symbolischen Charakter“ der Aktion verwies: „denn das Versenden eines Kotröhrchens hat natürlich keine direkten Auswirkungen auf die eigenen Arbeitsbedingungen“. Und weiter: „Stattdessen wäre Aktivismus direkt im Betrieb mit klar zu benennenden Verantwortlichen, also den Geschäftsführungen, wesentlich greifbarer als Appelle und Proteste, die politischen Druck aufbauen sollen. Andererseits sollte der Scheiß-Streik … den nicht gerade organisierungswütigen AssistentInnen auch die Möglichkeit geben, und sei es nur auf symbolischer Ebene, ein erstes Mal gegen die miesen Arbeitsbedingungen zu protestieren.“[11]Siehe „Aktiv gegen scheiß´ Zustände“ (DA Nr. 194). Wie sich das Dilemma von Pflegerinnnen und Assistenten in Arbeitskämpfen möglichst effizient lösen lässt, bleibt jedoch nach wie vor unbeantwortet.

Fazit

Der „gute alte Streik“ ist in vielen Bereichen und Situationen nach wie vor unersetzlich, verlangt aber zusehends nach flankierenden Maßnahmen. Anderswo hat die klassische Arbeitsniederlegung an Gewicht eindeutig eingebüßt. Insbesondere für kleine oder verstreute Berufsgruppen gibt es kein Patentrezept. Sich zu vernetzen und auf die Stärke der selbstbestimmten direkten Aktion zu besinnen, ist aber niemals falsch. Dazu gehört auch, sich klar zu machen, dass ein Netzwerk von Streikkomitees besser dazu geeignet ist, eine Branche zu leiten, als eine Konzernleitung, die der Gewinnmaximierung verpflichtet ist, oder ein Ministerium, das der Staatsräson als oberstem Prinzip dient. Man müsste ebenso den Mut aufbringen, das Konzept Arbeitskampf konsequent zu Ende zu denken.

„Das Streikrecht und dessen Wahrnehmung waren schon immer eine Machtfrage“, schreibt dazu Mag Wompel: „In Zeiten des Klassenkampfes von oben durch abnehmenden Bedarf an menschlicher Arbeitskraft stellen wir auch die abnehmende Bereitschaft des Kapitals zu Kompromissen fest. Anders ausgedrückt: Die Androhung von Streiks kann ein Kapital, das unter (selbst erzeugten) Überkapazitäten leidet, kaum schrecken“. Und weiter regt sie an: „Es ist offensichtlich, dass legale Arbeitskampfmittel nur legal sind, weil sie nicht wirken. … Wenn Hartz-Gesetze und Privatisierungen der Lebensvorsorge selbst prekäre Arbeitsplätze alternativlos machen, müssen die Lohnabhängigen … ihre sonst zersplitterten einzelbetrieblichen Kämpfe zu gesellschaftlichen und politischen machen“.[12]www.prager-fruehling-magazin.de/article/641.streiks-wild-und-politisch.html. Für einen solchen gesamtgesellschaftlichen Anspruch bedarf es jedoch auch die Klarheit, dass das Gegenüber kein legitimer „Sozialpartner“ ist. Die private bzw. staatliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und Ressourcen muss in Frage gestellt werden.

Statt beim Arbeitskampf in sensiblen gesellschaftlichen Bereichen tausendfach PatientInnen oder PendlerInnen zu treffen, kann es schonender und kampfstrategisch zielführender sein, die neuralgischen Punkte eines Unternehmens anzugreifen, etwa mit konsequent durchgeführten Blockaden. Voraussetzung dafür ist freilich eine gewisse Militanz, d.h. die persönliche Bereitschaft zumindest eines Teils der Kämpfenden, das Risiko spürbarer Konsequenzen für ihre Aktionen in Kauf zu nehmen. Allerdings sollte man bedenken, dass etwa das Ausbaden strafrechtlicher Konsequenzen auch Kräfte zehrt. Außerdem bergen derlei Methoden die Gefahr einer „Elitenbildung“, wenn zu viel Einfluss in den Händen risikobereiter AktivistInnen liegt. Ohne Frage aber ist es erstrebenswert, die Möglichkeiten flexibler bzw. flankierender Kampfformen auszuloten, die dem sozialen Umfeld möglichst wenig schaden – den Bossen aber umso mehr!

 

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