Kidnapping im Arbeiterparadies

Beruf verfehlt. Dass Jens Bergmann, der Geschäftsführer der Deutschen Flugsicherung, eigentlich als Kabarettist auf die Bühne gehört, daran wird nicht zweifeln, wer Anfang Juni über den Streik der Fluglotsengewerkschaft GdF las: „So ein Streik ist für die Gewerkschaft nicht mehr anstrengend“. Inzwischen reiche schon die „Androhung der Androhung“, um Forderungen durchzusetzen. Das deutsche Arbeitsrecht: ein Arbeiterparadies, in dem Fachkräfte ihre Chefs erpressen und Kundschaft wie Restbelegschaft gleichermaßen in „Geiselhaft“ nehmen! Diese Bezeichnung, die in streikfreudigeren Ländern wie etwa Frankreich zu den Standardfloskeln der Konservativen gehört, fiel tatsächlich hierzulande, als Anfang März im Bundestag auf Antrag der SPD über die Tarifeinheit diskutiert wurde.

Nachdem die gemeinsame Initiative der Sozialpartner BDA und DGB seit 2010 keine Erfolge zeitigte, schlugen die Wogen anlässlich des Streiks am Frankfurter Flughafen wieder hoch. Insbesondere VertreterInnen der SPD drücken aufs Tempo, um die Stellung der sozialdemokratischen Richtungsgewerkschaften des DGB zu verteidigen. Die CDU/CSU kommt zwar nicht umhin, zuzugeben, dass die Untergangsszenarien des Unternehmerlagers auch im Jahr zwei der Tarifpluralität noch immer nicht eingetreten sind, so dass akuter Handlungsbedarf nicht besteht. Vermutet werden darf jedoch ein regierungstaktisches Spiel auf Zeit. Entsprechend zerknirscht äußerten sich Anfang Juni die regulierungswütigen BefürworterInnen der Tarifeinheit: derzeit bestehe „kein politischer Wille, dies umzusetzen“.

Liberale Pirouetten

Dieses Orakel schien sich Mitte Juni dank Hilfe der FDP-Fraktion zu bewahrheiten. Leicht euphorisch beurteilte Hans-Jörg Freese vom Marburger Bund gegenüber der DA „die überraschend grundsätzliche Positionierung“ der Liberalen mit dem lädierten Image. So seien auch bisherige Unterstützer der BDA/DGB-Initiative wie der wirtschaftspolitische Sprecher Martin Lindner gebunden. Der vollführte indes eine beispielhafte politische Pirouette: „Eine umfassende Regelung des Tarif- bzw. Arbeitskampfrechts“ lehne man zwar ab, aber, „punktuelle Regelungen“ aber seien möglich. So denkt Lindner laut über eine Ankündigungsfrist und über eine Prozenthürde für Streiks nach. Als wäre die Hürde der Tariffähigkeit nicht schon hoch genug!

Damit greift Lindner einige Vorschläge der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung auf, die sich auf die Beschränkung von Gewerkschaftsfreiheiten in der „Daseinsfürsorge“ konzentriert hatte (siehe Sie lassen nicht locker). Dieser Vorstoß wurde auch von betroffenen DGB-Gewerkschaften scharf abgelehnt. Kein Wunder, handelt es sich dabei doch nicht um „umfassende“, sehr wohl aber um schwerwiegende Eingriffe. Lindners Tagträume hält übrigens auch Karl Schiewerling, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, für „hilfreiche und sinnvolle Überlegungen“.

Die Gefahr der Zementierung eines restriktiven Streikrechts ist also keineswegs gebannt. Zu mutmaßen wäre, dass sich bereits die Debatte darüber negativ auswirkte: Mitte Juni bestätigte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg das sog. Streikverbot für Beamte (Aktenzeichen: 20 BD 7/11 und 20 BD 8/11) und opponiert damit gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: ein klarer Dämpfer für die Tendenz zur Liberalisierung des Streikrechts und zur Ausweitung gewerkschaftlicher Freiheiten.

Was will „Monti II“?

Auf europäischer Ebene gilt die Monti-II-Verordnung über das „Recht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit“ (Aktenzeichen: 2012/0064/APP) als problematisch. Der offiziellen Diktion zufolge wolle man damit Klarheit schaffen, nachdem der Europäische Gerichtshof im Dezember 2007 in gleich zwei Entscheidungen (nach den Klägerfirmen als Laval- bzw. Viking-Urteil benannt) Gewerkschaften für schuldig befunden hatte. Schuldig, im Kampf gegen Lohndumping die wirtschaftliche Niederlassungsfreiheit verletzt und damit gegen EU-Recht verstoßen zu haben. Im Textentwurf „Monti II“ heißt es nun, soziale und unternehmerische Freiheiten müssten jeweils „gewahrt“ bleiben. Deshalb beklagen zahlreiche Gewerkschaften des EGB und linke KritikerInnen, dass mit „Monti II“ ein soziales Grundrecht und die Handelsfreiheit auf eine Ebene gestellt würden.

Das heißt aber doch nur, dass die Gewerkschaften aufpassen müssen, wenn sie sich Unterstützung aus der Politik oder vor Gericht holen. Auf wirtschaftlichem Terrain unterscheidet sich ein grenzüberschreitender Arbeitskampf wohl kaum von einem lokalen. Auch wenn im Verordnungsentwurf von „Streitbeilegungsverfahren“ und „Warnmechanismus“ die Rede ist, handelt es sich dem Wortlaut nach nur darum, einen gleichberechtigten Zugang und intensiven Informationsaustausch vorzuschreiben. Von einer Zwangsschlichtung spricht die EU-Kommission nicht, es sei denn, nationalstaatliche Gesetze sehen eine solche vor. Freilich fragt sich auch: wozu eine Warnung ohne darauf folgende Handlung? Im Entwurfstext aber steht nichts von einer Intervention.

Vielleicht liegt darin der Grund, warum auch die Bosse der BDA die Verordnung ablehnen. Zumal „Monti II“ eine einschränkende Wirkung auf das Streikrecht ausdrücklich verneint – solche Einschränkungen bleiben den Mitgliedstaaten selbst vorbehalten. Mit Blick auf SPD, DGB & Co. ist klar, was uns da blüht. Offenbar lauert die „Einschränkung des Streikrechts“, vor der die grüne EU-Abgeordnete Elisabeth Schroedter warnt, nicht im fernen Brüssel, sondern direkt in Berlin mit seinen „nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“.

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