Wildwest in Thessaloniki

Enge, zugeparkte Straßen, steile Treppenaufgänge, verwinkelte Gassen, Gärtchen, hupende Autos, überquellende Mülltonnen und herumstreunende Katzen. Auch der letzte Rest scheinbarer Dorfidylle in Thessalonikis Altstadt wurde Ende November gehörig durcheinander gewirbelt. Für drei Tage „buchstäblich besetzt von sogenannten Antiterroreinheiten, ganzen Horden von Zivilfahndern und uniformierter Polizei war das Viertel“, berichtet eine Anwohnerin. Bei den mehr als zwanzig Hausdurchsuchungen seien von Beamten auch Türen eingetreten und Wohnungseinrichtungen zerstört worden. Willkürlich habe man Leute auf die Wache verschleppt, bedroht und stundenlang grundlos festgehalten. Beschlagnahmt wurden Computer, CDs, private Aufzeichnungen, anarchistische Bücher und Flugblätter. Abgerundet wurde das Bild von martialisch auftretenden Beamten an Straßensperren und dauernden Personalienkontrollen im Stadtteil. Mit solchem Aufwand – man ahnt es – wird nach „Terroristen“ gefahndet. Und richtig, gesucht werden zwei Männer und eine Frau, die laut Polizei „Mitglieder einer kriminellen Vereinigung“ und an mehreren „terroristischen Straftaten“ beteiligt sein sollen.

Am 26.11. hatten vermummte Polizeieinheiten ein Szenecafé in der Innenstadt gestürmt und einen 27jährigen Mann verhaftet, der seitdem in Untersuchungshaft sitzt und von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch macht. Ihm wird die Beteiligung an verschiedenen Brandanschlägen auf Autofirmen, den Fuhrpark der staatlichen Elektrizitätswerke und einer Filiale der Millenium-Bank zur Last gelegt. Für diesen hatten im Juli die „Feuerwerker gegen Kapital und Lohnsklaverei“ die Verantwortung übernommen. In der Nacht des 25.11. habe der Zeuge eines Brandanschlages auf die Peugeot Niederlassung in Pylaía, einem Vorort von Thessaloniki, bei dem sieben Neuwagen in Flammen aufgingen, das Kennzeichen des Fluchtautos notiert – und das gehöre dem Verhafteten. Aufgrund welcher Hinweise nach den Untergetauchten gesucht wird, konnte die Polizei nicht konkretisieren. Trotzdem ließ die konservative Tageszeitung Makedonía der als Drohung gedachten Ankündigung des Leiters der Staatsschutzabteilung, Pavlos Nikolaidis, „die Nachforschungen zur Aufklärung der mehr als dreißig Brandanschläge 2007 in Thessaloniki haben gerade erst begonnen und werden durchschlagend sein“, umgehend Taten folgen. Als Ergänzung eines die Fakten darstellenden Artikels ihres Redakteurs Kostas Koukoumákas veröffentlichte sie am 30.11. Fahndungsfotos der drei Flüchtigen. Noch am gleichen Tag erklärte Koukoumákas via Internet, dies sei ohne sein Wissen und entgegen seiner Überzeugungen geschehen. Zur Rettung seiner beruflichen Integrität bliebe ihm nur die sofortige Kündigung. In einer öffentlichen Resolution forderten daraufhin seine RedaktionskollegInnen von Herausgeber und Chefredaktion „die Übernahme der vollen Verantwortung“ und eine „öffentliche Rehabilitierung“ Koukoumákas`.

Auch RedakteurInnen des staatlichen Senders ERT-3 schlossen sich dem Aufruf an: „Wir, die Unterzeichner des folgenden Textes, Journalisten von ERT-3, verurteilen den groben Angriff auf die journalistische Berufsethik durch die Veröffentlichung der vom Staatsschutz lancierten Fotografien dreier junger Menschen, die von den Verfolgungsbehörden wegen ihrer angeblichen Beteiligung an militanten Aktionen mit politischem Hintergrund gesucht werden, in der Zeitung Makedonía vom 30.11. Wir halten den Grundsatz der Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils für unantastbar. Wir lehnen das an den Pranger stellen von behördlicherseits gesuchten Personen durch die Veröffentlichung von Fahndungsfotos ab; eine Praxis, die uns an Steckbriefe im Wilden Westen und an die Logik von Folterstaaten erinnert.“

Eine Reaktion erfolgte jedoch nicht durch den Herausgeber, sondern durch anarchistische AktivistInnen. Deren Verhältnis zur Presse lässt sich im Allgemeinen mit der Demoparole „Bullen, Faschisten, Spitzel, Journalisten – alle Dreckskerle arbeiten zusammen“ beschreiben. Folgerichtig war am 3.12., nach dem Besuch des Makedonía-Verlagshauses durch knapp 150 Personen, überall die Parole „Journalisten – Spitzelpack“ zu lesen. Koukoumákas wird in einem Flugblatt Hochachtung gezollt; er sei jedoch schlicht die Ausnahme von der Regel. Für den als gewissenhaften Journalisten geltenden Koukoumákas behält die Geschichte wegen eines Vorfalls im Sommer einen besonders merkwürdigen Beigeschmack. Nach einer von ihm am 6. Juni in der Makedonía veröffentlichten Reportage über Verbindungen der Polizei zu Zuhälterbandenbanden, die das Nachtleben Thessalonikis kontrollieren, hatte man ihn ins Polizeipräsidium bestellt. Dort wurde er massiv bedroht, erkennungsdienstlich behandelt und mit der Ankündigung, ihn fertig zu machen, nach Hause geschickt. Eine in der Folge eingeleitete „unabhängige Untersuchung“ des Vorfalls verlief im Sande.

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