Kapitaler Abschaum

Gentrifizierung („Veredelung“) bezeichnet in der Stadtsoziologie einen Prozess der Aufwertung innenstadt-naher Wohngebiete, der mit einer Veränderung des Wohnumfelds und des Bevölkerungsgepräges einhergeht. Seit längerem in der Soziologie diskutiert, gelangte das Konzept im letzten Jahr zu bemerkenswerter Aufmerksamkeit, als die Beschäftigung mit Gentrifizierung als Tatverdacht für die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ nach §129a StGB herhalten musste (Näheres dazu auf: www.einstellung.so36.net). Solche Ereignisse machen deutlich, dass es sich bei Gentrifizierung nicht einfach nur um „normale“ Marktprozesse handelt, sondern ebenso um sozial umkämpftes Terrains. Prof. Dr. Neil Smith (Prof. für Anthropologie und Geografie an der City University von New York) beschäftigt sich seit langem mit Gentrifizierung. Seine polit-ökonomische Analyse geht davon aus, dass Gentrifizierung sich bis heute zu einem globalen Projekt des „revanchistischen“ Staates entwickelt hat. Eines Staates also, der die Stadt für ihre „rechtmäßigen“ Bewohner, das immobilienbesitzende Stadtbürgertum, zurückerobert. Aspekten des Klassenkampfes kommt somit in der Gentrifizierung eine zentrale Bedeutung zu. Wir veröffentlichen an dieser Stelle ein Interview mit dem New Yorker Gentrifizierungskenner.

 

Wie lassen sich die grundsätzlichen wohnungswirtschaftlichen Prinzipien von Entwicklungen der Gentrifizierung beschreiben?

Gentrifizierung finden wir als Phänomen v. a. in den städtischen Teilräumen, in denen zuvor die städtische Infrastruktur vernachlässigt wurde. Das bedeutet auch, dass damit Gebiete geschaffen werden, die profitabel „erneuert“ werden können. In den frühesten Formen betraf dies verfallende Arbeiterquartiere nahe der städtischen Zentren, die von Haushalten der (gehobenen) Mittelschicht kolonialisiert bzw. re-kolonialisiert wurden. Das führte dann zur Verdrängung und Räumung der bestehenden Bevölkerung. Als der zentrale Mechanismus dahinter kann die „Ertragslücke“ angesehen werden. Wenn in Quartiere nicht mehr investiert wird, sie also Desinvestition erfahren, verringert sich dort die erlösbare Grundrente, was bedeutet, dass die Grundstückspreise sinken. Wenn diese Desinvestition anhält, vergrößert sich die Lücke zwischen der aktuell erlösbaren Grundrente und der Grundrente, die erzielt werden könnte, wenn in das Gebiet reinvestiert würde. Das geht so lange, bis es wieder attraktiv wird, in das Quartier zu investieren.

Diese „Ertragslücke“ entsteht überwiegend durch Bewegungen des Marktes. Aber staatliche Politik kann dabei eine ebenso zentrale Rolle spielen, so dass Anreize für Des- oder Re-Investitionen geschaffen werden. Integrale Bestandteile dieses zunächst ökonomischen Wandels sind dann soziale und kulturelle Verschiebungen, die die Art der Läden, das Warenangebot und die öffentlichen Räume in solchen Gebieten verändern. In Berlin wurden frühe Beispiele u.a. in Schöneberg und Kreuzberg registriert, doch der Fall der Mauer hat einen immensen Bestand an Wohnungen auf den Markt geworfen, der zuvor von umfangreichen Desinvestitionen betroffen war. Das wiederum führte dann zu umfassender Gentrifizierung in Prenzlauer Berg und Mitte.

Wir beobachten in den vergangenen Jahren v.a. in vielen als problematisch geltenden Vierteln Quartiersprogramme, die zur „sozialen Stabilisierung“ beitragen sollen. Eine Strategie ist die gezielte Ansiedlung von kreativen Gruppen. Das Konzept sind oft sog. „Zwischennutzungen“, temporäre Gewerberaumangebote zu sehr günstigen Preisen. Passen solche Strategien in die Aufwertungsdynamik von Gentrifizierung?

Seit den 1970ern hat sich Gentrifizierung von einem marginalen, fragmentierten Prozess im Wohnungsmarkt zu einer durchdachten und systematischen Stadtentwicklungspolitik entwickelt, einer umfassenden Städtebau-Strategie, die nun auch die Bereiche Erholung, Handel, Beschäftigung und Kultur umfasst. Als eine verallgemeinerte Strategie für Urbanität webt Gentrifizierung nicht nur die Interessen der Stadtverwaltungen, Projektentwickler und Vermieter zusammen, sondern auch die Interessen der Konzerne und der kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die gut ausgebildetes Personal brauchen. Gentrifizierung ist darüber hinaus das paradoxe, aber logische Resultat der ökologisch motivierten Forderung nach städtischer Dichte. Das ist die eine Seite.

Aber diese großräumlichen Strategien sind in sehr viel lokalere Initiativen integriert und in der ganzen Welt sind Stadtverwaltungen von der Idee der „kreativen Stadt“ gefesselt. Dabei versuchen sie, die sog. „kreative Klasse“ wie Künstler, Intellektuelle, Unterhaltungskünstler, Designer und High-Tech-Ingenieure in spezifischen, gentrifizierenden Stadtteilen anzusiedeln. Pionier dieser Entwicklung war vermutlich die Lower East Side in New York, wo Vermieter, die in den frühen 1980ern nicht in der Lage waren, ihre Gewerbeimmobilien zu vermieten, diese günstig mit Fünfjahresverträgen an KünstlerInnen vergaben. Da für Gewerbemietverträge keine Mietpreisbindung existiert und sich das Gebiet in eben jenen fünf Jahren rapide gentrifizierte, forderten die Vermieter nach Ablauf der Verträge Mieterhöhungen um 400, 600 und sogar 1000%. Die Künstler hatten ihre Arbeit als Sturmtruppen der Gentrifizierung getan und wurden nun selbst verdrängt. Diese lokale Strategie erfreut sich besonderer Popularität in Städten, wo der Mieterschutz stärker ausgeprägt ist bzw. wo generell die staatliche Regulierung des Wohnungsmarkts ausgeprägter ist. Die Gentrifizierung Berlins verläuft bspw. fragmentierter und langsamer ab als die in New York oder London.

In der Gentrifizierungsdiskussion werden Warnungen teilweise mit dem Argument abgeblockt, dass die soziale Struktur, der Nachbarschaftscharakter und das schlechte Image von manchen Gegenden den Lebensentwürfen von Pionieren und Besserverdienenden entgegenstehen. Kennen Sie Beispiele, in denen die Sozialstruktur einer Nachbarschaft „zu schlecht“ für einen Gentrifizierungsprozess war?

Ob Universitätsviertel oder andere Quartiere, Studierende sind Teil des Prozesses, Gebiete „zu knacken“, deren Kolonisierung etablierte AkademikerInnen scheuen. Die Frage, ob ein bestimmtes Quartier gentrifiziert wird, hängt einerseits von der Größe der „Ertragslücke“ und den Besonderheiten der dortigen Politik ab, andererseits aber auch von den Gegebenheiten vor Ort. Ist die „Ertragslücke“ erst mal groß genug, dann ist wohl kein Quartier „zu schlecht“ für die Gentrifizierung. Andererseits gibt es keine Garantie dafür. Man betrachte Harlem in New York City: Während der 1960er und 1970er war Harlem ein internationales Symbol des Niedergangs der Stadt, eine „üble Gegend“. Dies war nicht zuletzt ein Resultat des Rassismus, denn Harlem war in den 1980ern zu 97% von Afro-AmerikanerInnen bewohnt. Vor über 20 Jahren führte ich ein Interview mit einem afro-amerikanischen Bürokraten, dessen Aufgabe darin bestand, Harlem zu gentrifizieren. Er sagte: „Wenn Harlem gentrifiziert werden soll, muss der Weiße Mann sich wirklich in den Griff bekommen“. Heute wird Harlem intensiv gentrifiziert. Afro-amerikanische AkademikerInnen, Studierende, Anwälte, weiße Yuppies ziehen dorthin – und die Grundstückspreise explodieren. Wenn also selbst Harlem gentrifiziert werden kann, so ist wohl kein Gebiet sicher.

Allerdings werden Gebiete auf unterschiedliche Weise gentrifiziert. Einige Strategien haben verhängnisvolle Folgen, während andere langsamere Gentrifizierungen nach sich ziehen. Einige wirken hochgradig exklusiv und ausschließend, während andere Quartiere unter Umständen länger stärker gemischte Szene-Kieze bleiben. Dies hängt von vielen Faktoren ab, wie der Eigentümerstruktur und staatlichen Regulationsmechanismen, von der Klassenstruktur und dem Klassenzusammenhalt, von der Bewohneropposition und unternehmerischen Initiativen. Was alle diese verschiedenen Erfahrungen verbindet, ist die Veränderung in der Klassenstruktur und das mehr oder minder große Maß an Vertreibung (ob direkt oder indirekt), das darauf folgt.

Wie sehen Sie heute das Verhältnis von nachfrage- und angebotsseitigen Ansätzen? Ist Gentrifizierung ein Wohnungsverwertungs- oder ein Yuppieproblem?

Auf der Lower East Side lautete einer der Anti-Gentrifizierungs-Slogans in den 1980ern: „Die Yuppie Scum“ („Stirb, Yuppieabschaum“). Es war ein effektiver Slogan, um Yuppies abzuschrecken, und in der Tat geriet der Gentrifizierungsprozess in dem Gebiet ins Stocken, bis die Stadt begann, Obdachlose und Demonstranten zu räumen. Doch Anti-Yuppie-Slogans stellen keine Analyse dar. Selbst Yuppies haben relativ begrenzte Wahlmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt. Im Kontrast dazu genießen Kapitaleigner, die entschlossen sind, ein Gebiet zu gentrifizieren und zu entwickeln, eine Menge Wahlmöglichkeiten. Das betrifft zum einen die Wahl der Quartiere, die sie mit dem Ziel der Gentrifizierung „konsumieren“ wollen; und es betrifft zum anderen die Art der Wohnungen und anderen Einrichtungen, die sie „produzieren“, damit der Rest von uns sie „konsumiert“. Es besteht eine riesige Asymmetrie zwischen der Macht der kapitalistischen Konzerne auf dem Markt und der „Macht“ von jemanden, der versucht, eine Wohnung mit einem durchschnittlichen Einkommen zu mieten. Daher ist die Frage nach dem Konsum und der Verfügbarkeit der Konsumenten keineswegs irrelevant, aber der viel größeren Macht des Kapitals nachgeordnet.

Was bedeutet Ihr ökonomischer Blick auf Gentrifizierungsprozesse für Stadtteilarbeit? Welche Konflikte sind zentral und welche Koalitionen sind notwendig?

Lokale Strategien sind unerlässlich und müssen Verdrängung, Räumung und den Verlust von Dienstleistungen und Arbeitsplätzen in solchen Nachbarschaften hervorheben, in denen die bestehende Arbeiterklasse strandet. Aber solche Kämpfe müssen auch immer die globale Situation im Auge behalten. Gentrifizierung ist eine Strategie innerhalb der Globalisierung selbst geworden. Globalisierung umfasst das Bemühen, eine globale Stadt zu schaffen, Kapital und Touristen anzuziehen, und Gentrifizierung ist dafür das zentrale Mittel. Einige Stadtteilaktivisten haben versucht, Schmalspur-Gentrifizierer zu mobilisieren, um urbane Erneuerungsprojekte im großen Maßstab zu bekämpfen, aber das ist selbst eine Gentrifizierungsstrategie, die darauf abzielt, Quartiere für die sog. „kreative Klasse“ zur Verfügung zu stellen. Das Gleiche kann von den „Erneuerungsstrategien“ der EU gesagt werden. Insbesondere in Großbritannien ist der Begriff „Erneuerung“ zu kaum mehr als einem anderen Wort für Gentrifizierung geworden. Eine freundliche und behutsame Räumung ist immer noch eine Räumung. Ich glaube, wir müssen anfangen, in Begriffen wie „Mieterkollektiv“ und „Stadtteilräte“ zu denken.

Solche Organisationen sollten mehr und mehr die Verantwortung für den Wohnungsbestand in ihrer Nachbarschaft übernehmen und gleichzeitig die lokale Machtbasis organisieren. Aber zusätzlich zur lokalen Organisierung sollte man mit den globalen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zusammenarbeiten. Die Wohnungsfrage ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit, und Gentrifizierung ist Teil einer größeren globalen Kapitalakkumulation. Heutzutage werden viele Gentrifizierungsprojekte von internationalen Kapitaleignern entworfen, gebaut und finanziert, und zwar auf der Grundlage von Entscheidungen, die im weltweiten, nicht lokalen Maßstab getroffen werden.

Solch ein Zusammenschluss zwischen den Kämpfen kann extrem bedrohlich werden. Die jüngste verzweifelte Beschwörung von §129a zeigt das deutlich. Der „Terrorismus“- Vorwurf gegen sieben Personen, darunter einige, die zu Gentrifizierung forschen, demonstriert klar, wie bedrohlich diese Verbindungen sein können. Klassenpolitik wird mit Terrorismus gleichgesetzt. Unsere Antwort darauf sollte lauten, die Verbindungen zwischen AktivistInnen auf unterschiedlichen Ebenen zu intensivieren und gleichzeitig die hysterische Gleichung des Staats zwischen Klassenopposition und Terrorismus zurückzuweisen.

Das Interview erschien zunächst in: MieterEcho,
Nr. 324 (Okt. 2007). Wir danken der Redaktion für die Bereitstellung.
Geführt wurde das Interview von Andrej Holm; Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Jens Sambale & Volker Eick; zweite redaktionelle Bearbeitung: Redaktion BuG. Homepage des MieterEchos, der Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V: www.bmgev.de/mieterecho

 

 

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