Moderne Tragödien

Mit „Traumrolle hinter den Kulissen“ betitelte der Tagesspiegel Ende des letzten Jahres einen Artikel, in dem über den Einsatz von erwerbslosen Jugendlichen im Berliner Friedrichstadtpalast berichtet wurde. Im Rahmen des TIVI-Projektes (Testen, Informieren, Vermitteln, Integrieren), einer Kooperation zwischen dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg und dem freien Ausbildungsträger und Personalvermittler Aktionszentrum Multimedia GmbH (AMM), werden sie an die größten Revue-Theater Europas vermittelt, um sich dort „in vielen verschiedenen Jobs beweisen zu können“. Laut Tagesspiegel reagierten die Jugendlichen geradezu euphorisch auf diese Möglichkeit. Von einem „Traumjob“ ist die Rede. „Als Unternehmen des Landes Berlin dürfe man nicht an den sozialen Problemen der Stadt vorbeigehen“, meinte dazu seiner Zeit der kaufmännische Geschäftsführer des Friedrichstadtpalastes, Guido Herrmann. Eine Fallmanagerin ergänzte: „Sie müssen schon Motivation zeigen und Lust haben zu arbeiten.“ Die Arbeit im Theater setze Flexibilität voraus. Das Praktikum sei eine „Riesenchance“, meinte eine neunzehnjährige Praktikantin, die Cowboy-Hüte mit Strass verzieren und Kindern beim Anziehen von Pinguin-Kostümen helfen durfte. Der Friedrichstadtpalast sei schließlich eine „prima Empfehlungsadresse“. Also eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten?

Die Direkte Aktion führte ein Interview mit einer Frau mit abgeschlossener Kunstausbildung, die 2007 die Erfahrung eines solchen Praktikums im Friedrichstadtpalast machen durfte. Sie möchte anonym bleiben, um sich vor Repression durch das Jobcenter zu schützen.

 

Erzähl doch erst einmal, wie du dazu gekommen bist, im Friedrichstadtpalast zu arbeiten, und wie lange du dort warst?

Ich wurde vom Arbeitsamt über das TIVI-Projekt zum Friedrichstadtpalast vermittelt. Eigentlich sollte meine Praktikantinnentätigkeit auf sechs Monate beschränkt sein, ich war aber im Endeffekt neun Monate dort, da mein Vertrag nach dem Auslaufen nochmals verlängert wurde. Am Anfang haben wir sehr viel gelernt, allerdings eher von den vorherigen PraktikantInnen als von den Festangestellten. Nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, nichts mehr dazu zu lernen; der Arbeitsablauf wurde alltägliche Routine.

Welche Tätigkeiten musstest du verrichten, hast du auch tragende Aufgaben im Betriebsablauf übernommen?

Die anderen PraktikantInnen und ich waren für den Friedrichstadtpalast ohne Frage unabkömmlich. Wir haben die gleichen Aufgaben wie die Festangestellten ausgeführt und haben viele Tätigkeiten gemacht, die die Festangestellten als zu nervig empfunden haben. Wir haben von Farbenanmischen über Lackieren, Streichen, Vorzeichnen, Schablonieren, Modellieren, Versiegeln, Tapezieren, Ausbesserungs- und Übertragsarbeiten bis hin zum maßstabsgetreuen Vergrößern von technischen Zeichnungen und Bühnenbildern alles Mögliche machen müssen. Vor allem letzteres ist eine Aufgabe, die explizit nur von ausgebildeten BühnenbildnerInnen ausgeführt werden sollte. Die Arbeitsschutzmaßnahmen waren sehr schlecht. Wir erhielten während des Umgangs mit giftigen Chemikalien (wie Lacken, Klebstoffen und bei Sprüharbeiten) nur auf Nachfrage einen unzureichenden Mundschutz.

Wie viel Geld hast du für deine Arbeit bekommen, wovon hast du in der Zeit generell deinen Lebensunterhalt bestritten?

Die ProjektteilnehmerInnen haben vom AMM monatlich eine Leistungsprämie in Höhe von 100 Euro und ein Sozialticket in Höhe von 33,50 Euro erhalten. Meinen Lebensunterhalt musste ich trotz einer mich völlig auslastenden Arbeit von 36 Stunden pro Woche mit Arbeitslosengeld II bestreiten. Die PraktikantInnen außerhalb des TIVI-Projektes bekamen weder die Leistungsprämie noch das Sozialticket. Ich weiß auch von vielen anderen, dass sie viele unbezahlte Überstunden machten und ihnen trotzdem kein freier Tag bewilligt wurde.

Wie war die Atmosphäre im Betrieb, gerade auch zwischen den PraktikantInnen und den Festangestellten?

Das Verhältnis unter den Festangestellten war von einer starken Hierarchie geprägt. Ich habe oft miterlebt, wie ein Festangestellter runtergemacht worden ist. Einige Festangestellte waren gegenüber den PraktikantInnen überaus unfreundlich und unfair. Ich hatte häufig das Gefühl, dass sie ihre schlechte Laune an den PraktikantInnen ausließen. Die Bildungsdienstleistenden des Arbeitsamtes, welche uns eigentlich unterstützen sollten, aber eher Kontrolle ausübten, kamen und gingen, wann sie wollten, und halfen uns in keiner Weise. Zwischen diesen und den PraktikantInnen war die Stimmung sehr schlecht. Das Arbeitsklima zwischen den PraktikantInnen war hingegen von einem starken Zusammenhalt geprägt.

Eine der Frauen, die vom Jobcenter geschickt wurde, um uns zu helfen, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Sie unterstützte uns in keiner Weise, sondern behandelte uns eher wie kleine Kinder, denen man keinen Respekt entgegenbringen müsse. Sie meinte, wir dürften uns nicht beschweren und sollten froh sein, dass wir im Friedrichstadtpalast arbeiten können. Außerdem seien einige von uns schon über fünfundzwanzig und wir hätten deshalb sowieso nur noch Chancen auf Hartz IV und Ein-Euro-Jobs. Viele von uns wurden dadurch stark entmutigt, was die weitere Jobsuche betrifft.

Ich dachte immer, die SachbearbeiterInnen des Arbeitsamtes wären dazu da, uns Mut zu machen und uns in eine Arbeit zu vermitteln. Manchmal wurden einem auch die sowieso schon viel zu geringen Leistungsprämien wegen Kleinigkeiten entzogen. Wenn man beispielsweise krank wurde und sich bei seinem Vorgesetzten abmeldete, konnten einem die SachbearbeiterInnen – je nach Lust und Laune – die Leistungsprämie streichen. Bei einer Vertragsverlängerung verlor man automatisch die gesammelten Urlaubstage aus dem Vorgängervertrag, ohne dass dies vorher angekündigt worden wäre.

Mein direkter Vorgesetzter war allerdings sehr fair und hat uns mit Respekt behandelt. Er riet uns des Öfteren, dass wir uns Zeit nehmen sollten, um uns um unsere Zukunft zu kümmern. Er half uns sogar beim Schreiben von Bewerbungen und suchte auch manchmal Jobangebote für PraktikantInnen heraus. Er war sehr an unserer weiteren Berufslaufbahn interessiert.

In anderen Bereichen sah das aber ganz anders aus. Die Chefin einer Werkstatt war z. B. ausgesprochen inkompetent, sowohl was den Umgang mit den PraktikantInnen als auch was die Verrichtung ihrer eigenen Arbeit angeht, welche dann oft durch andere Beschäftigte erledigt werden musste.

Wie hat sich der Unmut der ArbeiterInnen ausgedrückt? Gab es Widerstand gegen die miserablen Arbeitsbedingungen? Wenn ja, berichte doch mal.

Von Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen ist mir nichts bekannt. Ich glaube, dass niemand riskieren wollte, das Arbeitsklima weiter zu verschlechtern. Deshalb machten viele der ArbeiterInnen gute Miene zum bösen Spiel. Auch den Festangestellten kam es nicht in den Sinn, den Mund auf zumachen, wahrscheinlich, um nicht zur Zielscheibe für ihre Vorgesetzten zu werden.

Gab es deinem Eindruck nach eine reelle Chance für dich, dort dauerhaft und ausreichend bezahlt arbeiten zu können?

Uns wurde von Anfang an gesagt, dass es keine Aussicht auf eine Festanstellung gibt. Der Friedrichstadtpalast entlässt momentan eher Leute, als dass er welche einstellt. Ich glaube, dass in naher Zukunft noch viel mehr PraktikantInnen wie ich dort arbeiten werden. Sogar die Lehrlinge haben keine Chance auf eine Festanstellung. Dies ist für mich eine Sauerei, weil die Lehrlinge neben den PraktikantInnen ein sehr wichtiges Standbein des Friedrichstadtpalasts bilden. Einige der Shows hätten niemals ohne sie aufgeführt werden können. Der Lehrling in unserem Bereich war hoch qualifiziert und hat uns sehr viel gezeigt und beigebracht. Fast alle Bereiche im Friedrichstadtpalast, von Kostüm bis Plastik, wären ohne Hilfe der PraktikantInnen und Lehrlinge niemals bis zur Deadline für eine Aufführung fertig geworden.

Wie sieht nun deine weitere Zukunftsplanung aus? Siehst du denn generell für dich eine Chance, in deiner Branche einen Job zu finden, von dem du Leben kannst?

Ohne Kontakte ist es in Berlin sehr schwer, einen Job in der Kunstbranche zu finden. Viele der Unternehmer bevorzugen unbezahlte PraktikantInnen, Ein-Euro-Jobber oder Leute, die auf 400-Euro-Basis arbeiten. Ich finde es außerdem sehr krass, was für Anforderungen manche Arbeitgeber schon für ein Praktikum stellen. Früher war ein Praktikum zum Ausprobieren und einarbeiten da, doch heute ist es häufiger als Ersatz für einen regulären Arbeitsplatz gedacht. Ich bin überzeugt davon, dass Berlin nur deshalb als Kunst-und-Kultur-Hauptstadt bezeichnet wird, weil es sehr viele hoch motivierte PraktikantInnen, Ein-Euro-JobberInnen und auf 400-Euro-Basis arbeitende Menschen gibt. Meinen Erfahrungen nach würde in Berlin keine Revue, kein Theaterstück oder sonstiges ohne die Mitarbeit dieser Menschen laufen.

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