Schön geschützte Arbeitswelt

Im Niedriglohnsektor schuften Menschen, von denen dies viele nicht erwarten würden und die kaum wahrgenommen werden. Menschen, die als erwerbsunfähig gelten, weil sie als „behindert“ eingestuft und von der Agentur für Arbeit einer „Werkstatt für behinderte Menschen“ (WfbM) zugewiesen wurden. Das Sozialgesetz kategorisiert sie als Personen, die „unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen“ können.

WfbM sind gesonderte Einrichtungen, um Menschen in Arbeitsprozessen zu beschäftigen. In Berlin gibt es unter 16 Trägern ca. 80 Werkstätten mit insgesamt 6.745 ArbeiterInnen. Es ist Aufgabe des Integrationsamtes, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen konzeptuell umzusetzen. Im Jahr 2006 standen hierfür in Berlin etwas über 21,6 Mio. Euro, sog. Ausgleichsabgaben, zur Verfügung. Ein Teil des Geldes wird für Investitionen für Neu- und Ausbau von WfbM eingesetzt.

Was sind Ausgleichsabgaben? Unternehmen müssen ab einer Beschäftigtenzahl von 21 Personen entweder 5% der Stellen mit Menschen besetzen, die den Status einer Schwerbehinderung haben oder Ausgleichsabgaben zahlen. Diese Ausgleichsabgaben variieren, je nach Größe des Betriebes, von 105 Euro bis etwas über 260 Euro pro Monat. Die Unternehmen können allerdings auch einen Teil an Ausgleichsabgaben einsparen, indem sie Arbeitsaufträge an eine WfbM geben. Ein Arbeitsplatz in einer WfbM ist durch zuständige Leistungsträger, bestimmte Sozialversicherungsträger oder Bezirksämter vertraglich geregelt und sozialversichert. Doch die Beschäftigten befinden sich nur in einem arbeitnehmerähnlichen Arbeitsverhältnis, haben also nicht die gleichen Rechte wie „normale“ LohnarbeiterInnen. Ein Werkstattplatz kostet die Leistungsträger zwischen 750 Euro und 1.600 Euro pro Monat. Die Spanne ergibt sich aus dem jeweiligen Betreuungsaufwand der Beschäftigten.

In Berlin liegt der WfbM-Lohndurchschnitt für die als behindert eingestuften Menschen bei etwa 170 Euro pro Person. Die ArbeiterInnen einer Werkstatt bekommen jedoch aus dem Gesamtertrag keinen gleichen Lohn, sondern werden nach ihrer Arbeitsleistung bewertet und entlohnt. Mit der Orientierung am erwirtschafteten Ergebnis ist dieses Lohnsystem daraufhin angelegt, dass sich alle gegenseitig zur Arbeit anstacheln, damit für alle mehr heraus kommt. Ein Ziel der WfbM ist laut Gesetz (§ 41 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX) die Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. De facto werden in Berlin jedoch weniger als 2% der ArbeiterInnen der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt.

Inside Out

Die WfbM sind wirtschaftlich orientierte Institutionen, die off iziell die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung ermöglichen sollen, zugleich aber diese aus gesellschaftlichen Prozessen ausschließen. Für Menschen mit Behinderungen sind diese Einrichtungen ausschließlicher (oder einschließender) Alltag, der oftmals keine Alternativen zulässt. Die Arbeitsprozesse in einer WfbM werden zusätzlich auf die Diagnose der „Art der Behinderung“ zugeschnitten und ArbeiterInnen damit zusätzlich auseinander dividiert, umso mehr an ihrer „Arbeitsfähigkeit“ gemessen.

Menschen mit Behinderung tauchen in keinem Tarifvertrag auf, keine Mindestlohndebatte berücksichtigt sie, keine Gewerkschaft, die sich um derartige Belange kümmert. Sie werden als wenig verwertbar und „überf lüssig“ wahrgenommen. Andererseits spiegeln die Werkstätten die ganze Verwertungslogik des global agierenden Kapitals wider, nach dem immer mehr Niedriglohnsektoren durchgesetzt werden sollen.

Und niemand fragt die Betroffenen: Inwiefern orientieren sich die ArbeiterInnen tatsächlich „am Aufstieg“ in den allgemeinen Arbeitsmarkt oder legen sie vielleicht eher Wert darauf, nicht gestresst zu werden? Gibt es Widerstand in Gestalt von Arbeitsverweigerung? Läuft so etwas gemeinsam? Inwiefern orientieren sich die Vorstellungen von Leben tatsächlich an den Vorgaben von Werkstatt und Heim? Wo wird in Diskussionen womöglich der Begriff von Behinderung selbst in Frage gestellt, der all diesen Institutionen in ihrer Eingeschränktheit ja zugrunde liegt?

Eine Politisierung des Themas darf nicht in einer Profilierung politischer AktivistInnen als StellvertreterInnen der betroffenen Personen enden, sondern muss von den Bedürfnissen, Wünschen und Diskussionen derselben ausgehen.

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