In der Dauerschleife

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Fast schon eine politische Institution sind Studierendenproteste, gewissermaßen ein globales, historisches Phänomen. Allein die neuere deutsche Geschichte kennt mehrere ihrer Art. Zum Teil sind sie fest im öffentlichen Bewusstsein verankert, wie z.B. die Übermutter des Studierendenprotests, die sog. 68er-Bewegung. Seit ihrer Zeit gab es in Deutschland über ein halbes Dutzend größerer und eigenständiger Protestzyklen, mit steigender Tendenz im neuen Millennium. Hier und da gelang es, punktuelle Errungenschaften zu etablieren; gemessen aber an den enormen Mobilisierungen und den formulierten Zielen, waren sie seit Ende der 80er fast ausnahmslos Niederlagen. Hinzu kommt die fast schon tragisch-komische Wiederholung ineffektiver Abläufe und Handlungen.

In diesem Sommer wurde nun ein weiterer Großversuch gestartet: das Projekt „Bildungsstreik“. Während viele Junge euphorische Erwartungen in dieses Projekt haben, fallen diese bei erfahrenen Studierenden eher nüchtern aus. Die gewohnten Strategien und Methoden von Bildungskämpfen standen auch in den letzten Jahren kaum auf dem Prüfstand, so dass die Zweifel durchaus berechtigt scheinen.

Das Phänomen Studierendenprotest

Studierendenprotest ist Gegenstand mancher Lexika und politischer Wörterbücher geworden. Dabei dürfte von dem „Studierendenprotest“ eigentlich gar nicht die Rede sein. Heterogen in sozialer Zusammensetzung und Interessenlage, scheint die Annahme eines spezifischen studentischen Subjekts verwunderlich, zumal auch Studierendenproteste in der Geschichte nicht immer progressiv waren, was ja vermeintlich als typisches Charakteristikum studentischer Bewegung gilt.[1] Das Image vom revolutionären Intellektuellen und Verbündeten der Arbeiterklasse stimmt längst nicht immer, auch wenn Studierendenbewegungen in gesellschaftlichen Umbrüchen immer wieder eine entscheidende Rolle, nicht selten im Schulterschluss mit der Arbeiterbewegung, gespielt haben. Ob dies nun tatsächlich durch eine spezifische kulturelle, soziale und/oder ökonomische Lage bedingt ist, wie z.B. viele 68er annahmen, die daraus gar die Rolle der Studierenden als neue revolutionäre Avantgarde ableiteten, mag dahingestellt sein. Feststeht, es gibt eine Tendenz zur Bewegung, bis heute.

In Frage zu stellen sind dabei jedoch durchaus die Methoden und Strategien studentischen Protestes. Ein Blick auf die letzten Jahrzehnte kann hilfreich sein, um die Gründe ihrer Ineffizienz etwas zu entschlüsseln.

„Kulturrevolution und Befreiung“

Konnte noch 1976 eine Form von Studiengebühren, das sog. „Ersatzgeld“ mit studentischen Streiks und v.a. einem gut organisierten Rückmeldeboykott in einigen Bundesländern verhindert werden, so war auch der erste größere Kampf in den 80ern ein voller Erfolg:

Seit 1981 gab es in Berlin Tarifverträge für studentische Beschäftigte. Ende 1985 kündigte Bildungssenator Kewenig (CDU) diese auf.[2] Dieses Vorhaben löste in Berlin einen Streik aus, der ausnahmsweise auch tatsächlich einer war:[3] der sog. Tutorenstreik. Mehrere Wochen kämpften Anfang 1986 Studierende und TutorInnen gemeinsam und bewirkten schließlich den Sturz Kewenigs. Die folgende tarifvertragliche Absicherung der „Werkstudenten“ war eine Errungenschaft, von der in Berlin bis heute gezehrt wird und deren Beispiel überall im Bundesgebiet studentische Tarifvertragsinitiativen auslöste.[4]

Ende 1988 entwickelte sich dann, aus einem scheinbar eher spezifischen Anlass heraus,[5] die größte studentische Bewegung seit 1968. Ungewohnt spontan, waren in wenigen Tagen alle Institute der FU Berlin besetzt worden; es folgten die anderen Westberliner Hochschulen, schließlich auch viele westdeutsche Universitäten. Die sog. „UniMut“-Bewegung war geboren.

Um was ging es? Die weitere Unterhöhlung der inneruniversitären Demokratie, Wohnungs- und finanzielle Not von Studierenden und katastrophale Studienbedingungen waren zentral für den Antrieb der Studierenden. Zudem war unter ihnen ein starker Impuls für kritische Wissenschaft zu beobachten.[6] Das herausragendste Merkmal dieser Bewegung war ihre Organisationsform: an der FU Berlin zum Beispiel waren alle Institute besetzt und Räte und Komitees gebildet worden, die den Universitätsbetrieb mit über 300 autonomen Seminaren übernahmen.[7]

Erschöpfung und Frust führten jedoch schon Anfang 1989 zum Bröckeln der Bewegung, auch entstanden zunehmend Differenzen zwischen der Fraktion mit politischen Visionen und der um den Kampf für reine materielle Verbesserungen. Nach Räumung der letzten besetzten Institute, standen dennoch bleibende Errungenschaften: die Projekttutorien, autonome, finanziell abgesicherte Lehrveranstaltungen, selbstverwaltete Cafés, teilweise Rücknahme von Strukturreformen usw.[8]

„Das sind nur die 90er, mein Freund“

Das Jahrzehnt nach der „Wende“ wird mit einer starken Entpolitisierung der Jugendkulturen in Verbindung gebracht. Auch dem studentischen Protest dieser Zeit haftet dieser Makel an. Bereits 1993 gab es vereinzelte Institutsbesetzungen und Streikaktionen gegen z.B. die Einführung von Verwaltungsgebühren und Zwangsberatungen. Sie blieben aber zu isoliert, um etwas ausrichten zu können. Im Wintersemester 1997/98 kam es dann unverhofft zum bis dato zahlenmäßig größten Studierendenprotest in Deutschland. Der Initialimpuls kam diesmal aus der Universität Gießen.

Typisch für diese Bewegung, die mehrere Wochen anhielt, zum Jahresbeginn 1998 aber massiv einbrach, war, dass sie sich gegen ganz konkrete Missstände richtete und allgemeine politische Fragen eher hintan stellte. Vor allem wurde eine bessere personelle und materielle Ausstattung des überfüllten und mangelhaften Bildungsbetriebs gefordert. Auch eine Neureglung des BAföGs wurde vehement vorgetragen.

Das Label dieser Bewegung: „Lucky Strike“, zeigt schon an: Es war die Geburtsstunde der „kreativen“ Aktionen, deren Symbolik dem studentischen Protest bis heute den Stempel aufdrückt.[9] Die Protestierenden wurden zu den Herolden einer Art studentischer Lobby, die ihre Interessen gegenüber der Politik zu artikulieren versuchte. Ein Leichtes war es somit für PolitkerInnen, Hochschulpräsidenten und sogar Springer-Blätter, sich mit den handzahmen und appellativen Protesten solidarisch zu erklären.[10]

Dennoch gab es auch Lichtblicke in diesem Spektakel. Anfang 1998 wurde versucht, der Bewegung mit einem Kongress zu „Bildung und Gesellschaft“ inhaltlich ein Profil zu geben. Tatsächlich brachte dieser Kongress einige interessante Forderungen hervor, der Zug war zu diesem Zeitpunkt aber schon abgefahren. Von weiterem Interesse ist zudem die Gründung der Bildungssyndikate, ein Versuch, Bildungskämpfe auf eine organisatorisch kontinuierliche Basis zu stellen, worin sich das Bedürfnis nach neuen Methoden ausdrückte. Begleitet von medialer Aufmerksamkeit gründeten sich vielerorts Bildungssyndikate, die sich der FAU anschlossen, aber auch schnell wieder in der Versenkung verschwanden.

Round and round…

Größeres Aufbegehren folgte abermals im Wintersemester 2003/04 im Kontext des allgemeinen Sozialabbaus und des Bologna-Prozesses und seither fast jährlich. Diese Proteste offenbaren eine Ähnlichkeit in Strategien und Methoden, dass man verleitet ist, sie als Ausdruck einer dauernden Schleife anzusehen.[11] Große Teile der Studierenden verwiesen 2003/04 auf den gesamtgesellschaftlichen Charakter dieser Einschnitte und solidarisierten sich mit allen von der Agenda 2010 Betroffenen. Dennoch merkte man das den Protesten nicht unbedingt an. Methodisch stellten sie eine verschärfte Wiederholung von 1997/98 dar: kreative, symbolische Aktionen, die Erzeugung medialer Präsenz, Appelle und vermeintlich konstruktive Vorschläge an die Politik, was zuweilen auch so weit ging, dass die Studierenden sich als Standortfaktor profilierten. Unter dem Strich wurden die Forderungen nicht erreicht; die Politik hatte ja ohnehin vorher klargemacht, dass sie die Proteste einfach „aussitzen“ werde (so z.B. Klaus Wowereit).

In den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, Bildungskämpfe regelrecht vom Zaun zu brechen, indem lokale Vorreiter einen neuen Kampfzyklus postulierten und wie im „Summer of Resistance“ eine Streikfront quasi künstlich herzustellen versuchten. Das letzte Beispiel hierfür ist der frische Bildungsstreik. Neuartig an der momentanen Protestwelle ist vor allem das Engagement der Schülerschaft, die seit Jahren verstärkt auf der Bühne auftaucht. In der Vorgehensweise bleibt es jedoch beim Alten: Es werden Streiks ausgerufen, Institute besetzt, alternative Veranstaltungen durchgeführt und demonstriert. Auch die Forderungen folgen einem bekannten Strickmuster: Spezifisch bildungspolitische Ziele werden häufig zusammen mit gesamtgesellschaftlichen, antikapitalistischen Visionen formuliert – eine bei genauerem Hinblick diffuse Mischung, unter der auch das strategische Vorgehen leidet. Das Kampffeld verschwimmt, es gibt so nur abstrakte Adressaten, niemanden, den man konkret ins Visier und unter Druck setzen kann.

Mit dem Bruchstückhaften brechen

Aufmerksame BeobachterInnen mögen schon verspürt haben, dass auch in diesem Jahr vielen die Unzulänglichkeit der praktischen Rezepte klar geworden ist. Das Bedürfnis nach anderen Strategien und Methoden wächst, ohne dass eine Antwort auf dieses Problem kursiert.

Hierzu drei Thesen:

1) Der Ansatz der Bildungssyndikate, die Kämpfe im Bildungsbereich auf eine soziale Basis mit organisatorischer Kontinuität zu stellen, bleibt weiterhin höchstes Gebot. Spontaneität ist ein wichtiges Gut, ohne erprobte Strukturen der Gegenmacht werden die Bildungskämpfe aber weiterhin ins Leere laufen oder instrumentalisierbar sein. Vor über zehn Jahren scheiterten die Bildungssyndikate vor allem daran, dass viele Beteiligte darin nur einen Ersatz für bekannte Formen der Hochschulpolitik sahen; heute könnte das Verständnis für einen gewerkschaftlichen Ansatz ausgeprägter sein.

2) Die Kommunikation von Inhalten, die über das System hinausweisen, mag zwar immer richtig sein, die Forderungen in Bildungskämpfen müssen jedoch, statt allgemein bildungspolitisch, zunächst wieder so konkret wie möglich werden und erstmal – wie im Tutorenstreik von 1986 – auf inneruniversitäre Teilverbesserungen abzielen, die auch tatsächlich durchsetzungsfähig sind und größere Massen längerfristig mobilieren können. Das scheint nötig, um überhaupt erst Dynamiken in Gang zu bringen, die die Potentiale an Gegenmacht erweitern. Die allgemeine Prekarisierung unserer Lebensverhältnisse bietet auch an den Hochschulen eine Chance, dass Menschen aus den Verhältnissen statt aus ideologischen Überzeugungen heraus agieren.

3) Nach wie vor müssen Bildungskämpfe sich daran messen lassen, ob es den AkteurInnen gelingt, eine statusgruppenübergreifende Aktionseinheit herzustellen. Die Forderung nach sozialen Bündnissen auf der Straße bleibt so lange hinfällig, wie es den Schulterschluss in den eigenen Institutionen nicht gibt. Wie ein Aktivist im Tutorenstreik einst resümierte: Solange Solidarität und Widerstand quer durch alle Mitgliedsgruppen der Universtitäten so gut funktionieren wie im Tutorenstreik, gibt es Hoffnung.“ Auch dieser Anspruch sollte sich in einem organisatorischen Fundament ausdrücken, das die Interessen aller Statusgruppen im Hochschulbereich (angefangen bei den Mensa- und Putzkräften) einbezieht.

Anmerkungen:

1) Erinnert sei an die nationalistische Euphorie der Studierendenschaft 1914 oder etwa die Bücherverbrennungen 1933, die maßgeblich von Studentenverbänden organisiert worden waren.

2) Und plante darüber hinaus die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft (inkl. AStA).

3) Es ist allgemein bekannt, dass es sich bei Studierendenstreiks i.d.R. um keine Streiks im eigentlichen Sinne der Arbeitseinstellung handelt.

4) In gewisser Weise wurde damit auch ein Grundstein für den bald folgenden Kampfzyklus gelegt, denn überall entstanden Kontakte nach Berlin.

5) Alles begann am Lateinamerika-Institut der FU Berlin mit der Besetzung gegen eine Strukturveränderung im Institut.

6) Z.B. wurde interdisziplinäre Wissenschaft eingefordert, um dem Fachidiotismus zu begegnen.

7) Die „Befreite Uni“, wie die FU fortan genannt wurde, wurde von einem geschlechterparitätischen Besetzungsrat auf Delegiertenbasis koordiniert, so dass eine regelrechte autonome Rätedemokratie entstand. In der Tat funktionierte das System über rotierende Delegierte, die mit einem imperativen Mandat ausgestattet waren.

8) Auch auf Bundesebene konnten zusätzliche Hochschulsonderprogramme erkämpft werden. Im Prinzip konnte aber die neokonservative Stoßrichtung nur unzureichend abgefedert werden.

9) „Die Bildung geht baden“ (Schwimmgänge in Flüssen) oder gar „flöten“ (Blockflötenkonzerte in Innenstädten)…

10) Als der Protest ausgeklungen war, verlegten sich konsequenterweise viele Hoffnungen der Studierenden auf die Bundestagswahl im Oktober 1998.

11) Der Neoliberalismus machte auch vor der Hochschule nicht halt: Neben der vollkommenen Umstrukturierung des Studiums, hielten massive Kürzungen Einzug und wurde die Gefahr von Studiengebühren ganz konkret.

 

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