Das beste Konzept für eine kritische Kultur: das eigene politische Leben

Raul ZelikDie letzten Ausgaben waren ein Experiment für die Kulturseiten der Direkten Aktion. Es wurde versucht, mit Euch, den Lesenden, sowie engagierten Kulturschaffenden eine Diskussion über kritische Kunst und Kultur zu etablieren. Dieses Experiment soll mit diesem Artikel ein vorläufiges Ende finden. Vorläufig deshalb, weil wir uns natürlich jederzeit über Zusendungen von Meinungen zum Thema oder Antworten auf einige Artikel innerhalb der Diskussion freuen. Zum Abschluss also traf sich DA-Kultur mit Raul Zelik, Journalist, Autor von Sachbüchern und natürlich Schriftsteller, und zwar einer der wenigen politischen, die es in der linken Szene in Deutschland noch gibt. Der Versuch, aus diesem Treffen soviel wie möglich in Bezug zur vorangegangenen DA-Kultur-Diskussion herauszuholen, scheiterte jedoch zuweilen an der Aufregung des DA-Redakteurs, seinen Lieblingsautor zu treffen…

„Natürlich sind neue Formen in der Sprache und in unserem Umgang wichtig und nötig. Aber der Begriff der künstlerischen Avantgarde spielt für mein Schreiben, meine Schreibhaltung keine Rolle.“ Puh, ein Glück, meine konfusen Fragen werden verstanden und konstruktiv aufgenommen. Gezeichnet von Grippe, Schlafentzug und dem langen DA-Redaktionstreffen am Tag zuvor sitze ich in einem Kreuzberger Café Raul gegenüber und habe längst jegliche Versuche über Bord geworfen, wie ein professioneller Journalist rüberzukommen. Wie viel hatte ich mir vorgenommen: Endlich mal aus dem Repertoire meines Studiums zu fischen und eine literaturwissenschaftliche Diskussion über die poststrukturelle Idee vom „Tod des Autors“ zu führen und die Bedeutung von Sartres „Wieso Schreiben“ zur Disposition zu stellen; der abgeflauten und nie richtig lebendig gewordenen DA-Kultur-Diskussion über kritische Kunst ein intellektuelles Ende par excellence (wie einer meiner geschätzten Literatur Profs immer zu sagen pflegt) zu verpassen. Doch schon in den ersten Sekunden des Gesprächs fiel diese aufgesetzte Fassade des selbstbewussten Kulturkritikers in sich zusammen. Stattdessen hatte ich gleich zu Anfang dieselbe journalistische Todsünde begangen, wie ich sie beim Schreiben dieser Zeilen nun wiederhole ­­– ich ließ meiner Aufregung über das Treffen freien Lauf und musste daher zugeben, ein wirklich großer Fan zu sein. Dies schreibt sich nun als ein zwangloses Geständnis an die Lesenden dieses Artikels und als Entschuldigung für fehlende Distanz zum Thema; einem fremden Mann gegenüber, der im Gegensatz zu mir ja nun gar nichts über seinen Gesprächspartner wusste, waren es Worte, die mir unglaublich merkwürdig vor kamen.

Die Veränderung der Gesellschaft ist keine Angelegenheit einer intellektuellen Elite

Ja, Raul sieht in dem künstlerischen Avantgarde-Begriff begrüßenswerte Elemente enthalten – der Bruch mit dem Alten, die Ermutigung zur Aneignung der neuen Zukunft, das Ausprobieren mit neuen Mitteln des kulturellen Ausdrucks – aber die Auseinandersetzung mit der Avantgarde war nie der Ausgangspunkt für sein Schreiben gewesen, weder politisch noch stilistisch. Die Frage nach einer Zusammenkunft von politischer und künstlerischer Avantgarde stellt sich ihm auch gar nicht, weshalb weitere Fragen meinerseits in Richtung der kulturkritischen Veranstaltung der Gruppe Kritikmaximierung in der Hamburger Roten Flora vor zwei Monaten (in der DA kommentiert) überflüssig sind. Raul erinnert an den leninistischen Kerngedanken der politischen Avantgarde-Idee und die in ihm virulente elitär-autoritäre Gesellschaftsauffassung, die er ganz klar ablehnt. Und was seine Literatur angeht – so sieht er sich tatsächlich eher als Einzelgänger, als Autodidakten, denn als Vertreter einer theoretischen Schule oder Richtung. Das ist deshalb bemerkenswert, weil politische AutorInnen sich oft kollektiv eine stilistische und thematische Grundbasis schufen, von der aus sie gezielt gegen die Verhältnisse anschrieben. Raul aber schreibt nicht für eine Idee oder aus Verpflichtung eines revolutionären Gedankens der Literatur gegenüber. Vielmehr begleitet ihn die Literatur, er setzt sich mit ihr über seine Umwelt und sein eigenes Leben auseinander; sie ist sein individueller Ausdruck der Tatsache, dass wir alle Teil gesellschaftlicher Prozesse sind. Die Konsequenz seiner politischen Gedanken ist sein Leben, nicht seine Literatur – sie entspringt diesem Leben aber, sie ist Resultat der Konsequenz.

Eine Rückschau

Arbeitet hier die Avantgarde? Das besetzte Hamburger Gängeviertel – Kultur irgendwo zwischen Subversion und Assimilation.

Kunst und Kultur als politischer Ausdruck – die Positionen, die in den letzten fünf Ausgaben der DA auf den Kulturseiten geäußert wurden, rissen immer wieder elementare Fragen anhand dieses Themas auf. Es gibt keine richtige Kultur in der Falschen, das behauptete die anti-art-action-group zu Beginn der Diskussion und geißelte die Selbstentfaltungsmentalität der zeitgenössischen Kulturschaffenden als entweder Status Quo erhaltenden, neoliberalen Kreativfirlefanz oder bemitleidenswerten Ausdruck einer systembedingten Psychose. Als Reaktion meldete sich ein Vertreter der politischen StraßenmusikerInnen-Szene zu Wort und appellierte an die Entscheidungskraft jedes Individuums, sich der Instrumentalisierung von Kultur durch die Herrschaftsverhältnisse entgegenzustellen und – wie es seitens der politischen Straßenmusik praktiziert werde – Kunst und Kultur als Mittel zur Agitation und Kommunikation anzuwenden, um ihr subversives Potential zur Entfaltung zu bringen. Die DA-Kulturredaktion meldete sich mit einem Beitrag aus dem Guggenheim Museum in Bilbao zu Wort, in dem eine Rauminstallation besprochen wurde, die es trotz oder gerade wegen der elitären und entpolitisierten Umgebung in dem Museum schaffte, eine politische und ideologiekritische Botschaft zu entfalten; hier gelang nach Meinung der AutorInnen Subversion durch die Einbettung von Kunst in den gesellschaftlichen Diskurs. Die oben bereits erwähnte Veranstaltung in der Roten Flora, in der genau diese Frage, nämlich nach dem emanzipatorischen Inhalt von Hochkultur und ihrem Verhältnis zur radikalen Linken, beleuchtet werden sollte, fand unser Kommentator aufgrund des von ihm dort empfundenen Snobismus von ReferentInnen und Publikum einfach nur zum Kotzen.

Geschichten, die das Leben schreibt- individuell erzählt

Und nun zu guter Letzt so eine Art real existierender Existenzialismus. Raul schildert keine Utopien, seine Romane sind nicht der Ort, an dem unsere Fantasie der falschen Realität ein Schnippchen schlägt. Der Grund, warum sich die Handlung in ihnen oft außerhalb Deutschlands entfaltet, ist einfach: Es gibt hierzulande kaum ernstzunehmende, gesamtgesellschaftliche Kämpfe. Und Raul schreibt nun mal über das, was ihn bewegt, was sein Leben ausmacht – wieso sollte er sich da etwas zusammenreimen, was es nicht gibt, fragt er mich. So ist auch zum Teil der humoristische Stil in „Berliner Verhältnisse“ zu verstehen, ein Buch, das aus Geschichten besteht, die Raul so, wie er sie schildert, gehört, verstanden und interpretiert hat. Ich musste beim Lesen dieses Romans viel lachen, doch nun wird mir klar, dass mit einer politischen Lesart dieses Buch auch etwas Trauriges transportiert – weil es auf die Absurdität unserer gesellschaftlichen Teilhabe aufmerksam macht. „La Negra“, das Buch über den Dauerbürgerkrieg und die verzweifelte Lage der revolutionären Linken in Kolumbien, ist da natürlich ein absolutes Kontrastprogramm. Hier finden sich sogar gehauchte fantastische Elemente, der Stil der Sprache wechselt mit den vielfältigen und vielseitigen Charakteren, es entsteht ein kollagiertes Bild. Raul steht dazu, dass es für ihn so wie für wohl jeden und jede schwierig ist, in Kolumbien den Überblick zu behalten, und so wird „La Negra“ den Widersprüchen gerecht, die eine Reflexion über die kolumbianischen Verhältnisse auslöst. Es ist ein sehr persönliches Buch, denn es drückt das aus, was Raul in Kolumbien empfunden hat – wer „La Negra“ gelesen hat, weiß, wieviel Schmerz und Angst dieses Buch ausmachen, es ist die Antithese zu den deutschen Latino-Revolutions-Kitschromanen, in denen Kampf und Krieg im Kontext mit der heroischen Eroberung der Zukunft banalisiert werden.

Freund & Feind, Schwarz & Weiß

Doch genau das wurde Raul in Hinsicht auf „Der bewaffnete Freund“ von verschiedenen Seiten vorgeworfen. Die taz sah in diesem Buch die Glorifizierung des Terrorismus und die Verschleierung des baskischen Nationalismus als linke Folklore. Dabei hatte der Rezensent der taz selbst lange Jahre als Verleger des ID-Archivs RAF- und RZ-Texte herausgegeben, und daher mit der Besprechung möglicherweise auch ein bisschen persönliche Vergangenheitsbewältigung geleistet. Allerdings ist Raul ohnehin auf keinerlei Zuspruch aus einer Szene angewiesen, in der die Abgrenzung zur früheren politischen Aktivität zum kollektiven Ritual geworden ist – wie z.B. im Umfeld der Grünen oder eben der taz. Ganz zu Beginn des Gesprächs hatte ich den Gedanken umrissen, Raul werde nun zur bösen Anti-These des everybody‘s darling Uwe Timm stilisiert, der seine politische Literatur ja fast ausschließlich auf die Chiffre „’68“ bezieht und somit brav die Diskursmaschinerie bedient. Doch da bleibt Raul skeptisch und nimmt mir den Wind aus den Segeln. Uwe Timms Bücher seien einfach ganz anders, und er fände sie eigentlich ganz gut – und so schäme ich mich dafür, dass ich auf so platte Weise selbst ein schwarz-weißes Bild von guter, revolutionärer und schlechter, angepasster Literatur konstruieren wollte.

 

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