Chefverseucht

Baby-Lohn im Babylon?Seitdem der Arbeitskampf von Beschäftigten und der FAU Berlin im Berliner Kino Babylon Mitte von ver.di unterlaufen worden war und die Dienstleistungsgewerkschaft mit der Geschäftsführung einen Gefälligkeitstarifvertrag abgeschlossen hatte, eskalierte die Situation im Betrieb immer weiter. Da es den Chefs in einem Musterbeispiel von Klassenjustiz gelungen war, die gewerkschaftliche Betätigung der FAU Berlin zu verbieten, womit die Arbeit der Betriebsgruppe erheblich erschwert wurde, witterten sie Rückenwind und schlugen weiter munter um sich.

Aushebelung des Tarifvertrages

Als erstes versuchten sie, den Tarifvertrag zur Lohnkostenminderung zu nutzen, ganz getreu dem Credo ihrer Anwaltskanzlei, die schon Veranstaltungen zum Thema „Tarifverträge als Chance zur Kostensenkung“ abhielt. Da die Mehrzahl der Beschäftigten Teilzeitkräfte ohne schriftliche Arbeitsverträge sind, womit seit Jahren gegen das Nachweisgesetz verstoßen wird, kündigte die Geschäftsleitung an, dass der Tarifvertrag nur für diejenigen MitarbeiterInnen gelten solle, die entweder eine Mitteilung zum bestehenden Arbeitsvertrag erhalten (Chefetage und loyale Vollzeitkräfte) – oder einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben (die verbliebenen elf TeilzeitlerInnen).

Beim Betrachten der neuen Verträge klappte den Teilzeitkräften die Kinnlade runter. In den Arbeitsverträgen stand, dass sie an den Tarifvertrag gekoppelt seien, der wiederum an die Senatszuschüsse gekoppelt ist. Mache nun der Arbeitgeber von seinem Sonderkündigungsrecht des Tarifvertrages – der dann ohne Nachfrist endet – Gebrauch, bekäme man selbstverständlich auch keine Tariflöhne mehr bezahlt. Mit der Unterschrift verpflichte man sich, „entsprechende Anpassungen“ quasi blanko in Kauf zu nehmen, da diese nicht benannt wurden. Weiter war die Rede von nur noch zehn Arbeitsstunden pro Woche in einem Ausgleichszeitraum von 24 Wochen. Viele der Teilzeitkräfte hatten bisher aber weit mehr gearbeitet. Wie es bei dieser Arbeitsmenge auf Hobby-Niveau dem Arbeitgeber auf Dauer „zumutbar“ sein sollte, die Beschäftigung als sozialversicherungspflichtig zu erhalten – auf die absehbare Antwort der Chefs hätte man warten können, und zwar nicht sehr lange.

Doch damit nicht genug. Obwohl man sich mit dieser geringfügigen Wochenstundenzahl einverstanden erklären sollte, wurde im selben Vertrag verlangt, dass man für jede Nebenbeschäftigung um Erlaubnis bitten solle. Die Gnade, im Babylon arbeiten zu dürfen, soll mehr wert sein als eine Beschäftigung, von der man leben kann.

Kleine Siege

Eine sichere Möglichkeit, den Tariflohn allen zukommen zu lassen, gab es allerdings: Man hätte – unter Protest gegen den Gefälligkeitstarifvertrag und die hundertprozentig demokratiefreie Art seiner Herbeiführung – bei ver.di eintreten können. Auf einem von der FAU-Betriebsgruppe einberufenen Treffen der betroffenen Teilzeitkräfte entschieden sich jedoch alle gegen einen ver.di-Beitritt. Stattdessen sollte die Unterschrift unter den Knebelvertrag geschlossen verweigert und der neuerliche Skandal öffentlich gemacht werden. Der Betriebsrat brachte einer Pressemitteilung heraus, die FAU Berlin machte abermals auf den Zustand aufmerksam.

Gleichzeitig versuchten die Chefs, die Teilzeitkräfte einzeln zu bearbeiten und unter Druck zu setzen: „Du wärst nicht der Erste, der unterschreibt“ und „wir sagen es den anderen nicht“. Ohne Erfolg, keiner gab nach. Schließlich mussten sie einlenken und nach und nach allen (bis auf einem) Mitteilungen zum bestehenden mündlichen Vertrag überreichen, dass der Tarifvertrag gilt. Diese Mitteilungen mussten nicht einmal unterschrieben werden. Noch einmal hatten wir gezeigt, was durch Einigkeit erreicht werden kann. Unter der Hand erzählten Zeugen, wie Geschäftsführer Timothy Grossman nach dieser Niederlage vor Wut tobte.

Betriebsrat im Visier

Inzwischen gehen die Repressionen jedoch weiter. Sie konzentrieren sich jetzt, mangels Greifbarkeit der Betriebsgruppe der FAU Berlin, auf den Betriebsrat. Das Unwort des Jahres 2009 „betriebsratsverseucht“ hätte auch im Kino Babylon Mitte aus der Taufe gehoben werden können. Schon als der Betriebsrat mit öffentlichem Druck (u.a. durch die FAU verstärkt) die Einführung von Lohnfortzahlung und bezahltem Urlaub für alle MitarbeiterInnen, also auch die Teilzeitkräfte erzwang, sah er sich mit wütenden Vorwürfen der Geschäftsführung konfrontiert, er würde dem Unternehmen Schaden zufügen. „Wisst ihr überhaupt, was das kostet?!“, herrschte Grossman die Betriebsräte in einem Treffen mit der Geschäftsleitung an.

In letzter Zeit war der Betriebsrat vor allem damit beschäftigt, sich gegen die Arbeitszeitverkürzung bei den Teilzeitkräften und generell die willkürliche Dienstplanung zur Wehr zu setzen. Da die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung immer scheiterten, wurde beschlossen, eine Einigungsstelle anzurufen. Das ist der Geschäftsleitung doppelt unangenehm: Erstens kostet es viel Geld, weil ein Richter in den Betrieb kommen muss; zweitens muss sie befürchten, dass noch mehr des unter den Teppich gekehrten Schmutzes aufgewirbelt wird. Die Antwort erfolgte prompt: Einer der Betriebsräte wird nur noch etwa einmal alle zwei Wochen zum Dienst eingeteilt, die beiden anderen tauchen im gesamten Monat März nur noch vier Mal im Dienstplan auf. Die Chefs wissen ganz genau, dass sie von der Gnade, im Babylon arbeiten zu dürfen, auch leben müssen. Der Betriebsrat ist also akut von der berüchtigten „kalten Kündigung“ bedroht.

Das aber wird sich niemand gefallen lassen. Nach wie vor steht das Babylon wegen seiner Arbeitsbedingungen im Rampenlicht. Wir werden dabei auch die Linke und den Senat an ihre soziale und politische Verantwortung für die Zustände im einzigen halbkommunalen Kino der Stadt erinnern. Und: Die Beschäftigten halten zusammen. Solange sie noch da sind.

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