Ein Dorn im Auge

„Eine kleine schlagkräftige
Gewerkschaft ist vom deutschen Gesetzgeber nicht gewünscht.“
Deutlicher konnte die Aussage des Richters nicht sein, als am 16.
Februar vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erneut
darüber verhandelt wurde, ob der FAU Berlin der Boykott als
Arbeitskampfmittel im Konflikt mit dem Berliner Kino Babylon Mitte
verboten bleibt. Was vor einem Jahr als Auseinandersetzung um Löhne
und prekäre Arbeitsbedingungen begann, hat sich mittlerweile zu
einem handfesten Streit um die Gewerkschaftsfreiheit ausgewachsen.

Deutscher Sonderweg

Dies mag manche verwundern, da
theoretisch jeder in diesem Land das Recht hat, sich frei und
unbehindert gewerkschaftlich zu organisieren. Dies beinhaltet
logischerweise auch die Bildung von Gewerkschaften. So sehen es die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 23) und deren direkte
Übersetzung im Grundgesetz (Art. 9) ebenso vor wie die für
Deutschland verbindliche Europäische Sozialcharta und nicht zuletzt
die auch von der BRD unterzeichneten ILO-Konventionen. Wenn, ja wenn
nicht gerade diese BRD eine Meisterin darin wäre, sich zu jedem
Grundrecht auch einen Weg geschaffen zu haben, dieses wieder
auszuhebeln.

Demonstration für die Verteidigung der Gewerkschaftsfreiheit am 20. Februar 2010 in Berlin

Laut Grundgesetz darf der Staat einige
Rechte und Grundrechte per Gesetz einschränken: Zum Beispiel findet
das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranke im Schutz des
Persönlichkeitsrechts; und das Recht auf den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb setzt eine Vertrauenswürdigkeit der
Person voraus. So weit so gut.

Nun wurde der FAU Berlin allerdings
auferlegt, sie müsse zunächst erstmal ihre Tariffähigkeit
feststellen lassen, um sich so ihre Eintrittskarte in die deutsche
Gewerkschaftslandschaft zu erklagen, bevor sie in einen Arbeitskampf
um einen Haustarifvertrag trete. Ein Prozess, der sich lange zieht
und gerade im Zuge eines bereits laufenden Konfliktes eben diesem
leicht das Genick bricht. Das Verbot des Boykotts der FAU Berlin
aufgrund nicht geklärter Tariffähigkeit wurde seinerzeit vom
Arbeitsgericht damit begründet, Rechtssicherheit für den
Arbeitgeber zu garantieren. Dieser Auffassung folgte auch das
Landesarbeitsgericht – mit dem Verweis, die FAU Berlin sei nun
gehalten, sich um ihre Rechtssicherheit mittels
Feststellungsverfahren selbst zu kümmern.

Hier wird es nun interessant: Denn ein
Grundrecht ist eben nicht erst einzuklagen, um in seinen Genuss zu
kommen. Noch nie hat man wohl von einer frisch gebackenen
Journalistin gehört, die sich vor Einreichen des ersten Artikels
erst einmal die Pressefreiheit einklagen musste. Selbst das
nachrangige Recht auf „eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb“ mussten sich die Herren Grossman und Hackel vor
Eröffnung des Babylon Mitte wohl kaum erst vor Gericht erstreiten.
Worum es in den FAU-Verfahren geht, ist also etwas anderes: nämlich
um den Kern der bundesdeutschen Rechtslage in puncto Gewerkschaften
und deren Rechtssicherheit.

Gegen den Trend

So ist in Deutschland der relativ große
Freiraum, den das Gesetz der Regelung von Arbeitsbeziehungen
theoretisch lässt, zu guten Teilen nicht weiteren gesetzlichen
Regelungen unterworfen, sondern einem seit den 1950ern etablierten
Richterrecht. Man muss nicht in den 50ern geboren sein, um sich
denken zu können, welch Geistes Kind diese Einschränkungen sind.
Zudem hat sich in ähnlicher Weise die Regierung Kohl in den 1980ern
dagegen gestemmt, europäische Standards in deutsches Recht
aufzunehmen. Dass sich an dieser Frage im Verfahren zu einer
einstweiligen Verfügung kein Richter die Finger verbrennen möchte,
ist klar, verfassungsrechtlich aber bedenklich. Denn so wird auf
Kosten der abhängig Beschäftigten, die sich mit einer gänzlich
veränderten Arbeitswelt konfrontiert sehen, die Frage nach ihrem
Recht auf selbstbestimmte Organisierung wie eine heiße Kartoffel
munter von einer Instanz zur nächsten geworfen.

„Gewerkschaftsfreiheit verteidigen!“ Demonstration am 20. Februar 2010 in Berlin

Und dabei geht es nicht nur um die
grundsätzliche Frage, dass es eigentlich allein Angelegenheit der
Beschäftigten selbst ist, wie und wo sie sich organisieren. Vielmehr
wird hier verzweifelt versucht, an einem überkommenen Modell der
Regelung von Arbeitsbeziehungen festzuhalten. Denn gerade angesichts
der zunehmenden Tarifflucht der Arbeitgeber in der Fläche, und
angesichts zunehmender Handlungsunfähigkeit der
Zentralgewerkschaften durch die z.T. gewollte Passivität der Basis,
bleibt den abhängig Beschäftigten eigentlich keine andere Wahl, als
sich ihrer eigenen Deklassierung vor Ort und im zähen Kampf von
Betrieb zu Betrieb entgegenzustellen. Und hier zieht gerade das
häufig vorgebrachte Argument nicht, eine Liberalisierung der
Rechtsprechung öffne gerade den sog. „gelben“ Gewerkschaften Tür
und Tor. Dies zeigt sich nicht nur in den Erfolgen der
Basisgewerkschaften in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien.
Sondern selbst neo-konservative Theoretiker, die wohl kaum
anarchosyndikalistischer Sympathien verdächtig sind, sehen in
gewerkschaftlichen Zentralapparaten mit streng vertikalem Aufbau den
Garant für niedrige Forderungen der Belegschaften (siehe hierzu den
Hintergrundartikel).

In der Geschichte der
Bundesrepublik wird überaus deutlich, dass der Gesetzgeber geradezu
traditionell kein Interesse an schlagkräftigen Gewerkschaften hat,
seien sie nun groß oder klein. Seit einigen Jahren, im Zuge des
selbstbewussteren Auftretens der Spartengewerkschaften, werden nun
sogar, etwa in FDP-Kreisen, weitergehende Überlegungen zur weiteren
Einschränkung des bereits kümmerlichen Streikrechts angestellt.
Gerade deshalb ist jetzt eine breite Mobilisierung für die
Gewerkschaftsfreiheit in Deutschland sinnvoll ist. Nicht nur für die
FAU.

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