Zurück ins Mittelalter? Der Kampf ums Streikrecht in der italienischen Fleischindustrie

Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen werden von den großen italienischen Gewerkschaften nicht vertreten. Deshalb haben kämpferische Basisgewerkschaften Zulauf. S.I. Cobas („Branchenübergreifende Gewerkschaft Basiskomitees“) ist seit seiner Gründung 2010 auf 10.000 Mitglieder angewachsen. Er unterstützt den weitgehend selbstorganisierten Widerstand der ArbeiterInnen vor allem in der Logistik. Noch schlimmer als dort sind die Bedingungen in der Fleischindustrie. Menschen, die bei der Arbeit Windeln tragen sollen, weil sie nicht zur Toilette gehen dürfen. Verletzungen, weil Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden, 16 Stunden Schichten. Einer der aktuell wichtigsten Kämpfe des S.I. Cobas ist deshalb der bei AlcarUno, einer sogenannten Kooperative, die für den italienischen Wurstriesen Levoni arbeitet. 55 Arbeiter der Kooperative AlcarUno/Levoni wurden im November 2016 anlässlich eines Betreiberwechsels entlassen. 28 von ihnen sind im S.I. Cobas organisiert. Die Beschäftigten einer Kooperative gelten offiziell nicht als ArbeitnehmerInnen.

Eine Million Euro ausstehende Löhne und Sozialabgaben

„S.I. Cobas hat eine Reihe von Streiks in Levoni-Fabriken durchgeführt, um die Wiederaufnahme von Entlassenen und die Zahlung von ausstehenden Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung durchzusetzen, ohne die sie nicht einmal Arbeitslosengeld beanspruchen können. S.I. Cobas hat außerdem die Levoni Group auf Zahlung von fast einer Million an ausstehenden Löhnen, Beiträgen und Krankengeld verklagt“, heißt es in einer Presseerklärung der Gewerkschaft. Die Arbeitgeber weigerten sich zunächst überhaupt zu verhandeln. Dann gab es plötzlich doch ein Angebot. Doch alles sieht nach einem Komplott aus, für das sich zumindest Levoni und die Polizei abgesprochen haben müssen: Der Sprecher der S.I. Cobas, Aldo Milani, kam am 27. Januar 2017 zu einem Treffen mit Levoni und AlcarUno. Im Verhandlungsraum hatte die Polizei eine versteckte Kamera installiert. Das aufgezeichnete Video wurde anschließend in allen Fernsehkanälen gesendet. Es zeigt, wie einer Person, die neben Aldo Milani sitzt, ein Kuvert übergeben wird. Milani schaut währenddessen in eine andere Richtung und redet. Der zweite Mann steckt den Umschlag ein. Als sie die Verhandlungen verlassen, werden beide Männer festgenommen. Laut Polizei enthielt das Kuvert 5.000 Euro.

Komplott gegen Basisgewerkschafter

Das Video galt fortan als Beweis dafür, dass „zwei Gewerkschafter“ des S.I. Cobas Geld genommen hätten, um weitere Streiks zu verhindern. Die italienische Tageszeitung La Repubblica z.B. titelte: „Modena. Sie verlangten Geld um die Streikposten zu beenden. Zwei Gewerkschafter verhaftet.“ Tatsächlich arbeitete der Mann, der das Kuvert erhielt hat – Danilo Piccinini – zu diesem Zeitpunkt als Berater für die Levoni Group. Von den Medien wurde er in den ersten Tagen dennoch durchweg als S.I. Cobas-Funktionär bezeichnet. S.I. Cobas-Sprecher Milani wurde nach einer Nacht aus der Untersuchungshaft entlassen. Am Tag nach seiner Verhaftung streikten die Beschäftigten in dutzenden Unternehmen in ganz Italien. Am 4. Februar blockierten 1.000 ArbeiterInnen den Bahnhof in Bologna: Ihre Demoroute war im letzten Moment verboten worden. Auch in den folgenden Wochen demonstrierten ArbeiterInnen vor den Werkstoren. Die Polizei antwortete mit Tränengas und Schlagstöcken. Das Gerichtsverfahren ist nicht abgeschlossen, die Proteste vor AlcarUno gehen weiter. „Was die Arbeitsverhältnisse angeht, sind wir wieder im Mittelalter angekommen“, urteilt Simone Carpeggiani (S.I. Cobas). Immer mehr ArbeitnehmerInnen in Italien werden in irregulären oder prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgebeutet. Neben der Schwarzarbeit dienen dazu die sogenannten Kooperativen: Subunternehmen, die ihre ArbeiterInnen als Mitglieder einstellen und ihnen so legal eine Reihe von ArbeitnehmerInnen-Rechten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und garantierte Arbeitszeiten vorenthalten. Nutznießer dieser Situation sind selbstredend die auftraggebenden Firmen, wie TNT, DHL, IKEA, Levoni, GLS, H&M, um nur ein paar zu nennen, deren Praktiken in den letzten Jahren ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sind.

Die Entlassenen von AlcarUno sind seit Monaten ohne Einkommen und können ihre Familien nicht versorgen. Widerstandskasse des SI Cobas:

IBAN IT13N07601016000000030462 06, Empfänger: Sindicato Intercategoriale Cobas, Verwendungszweck: Cassa di resistenza

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