Ausweg verbaut

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Bei den Arbeitslosen gehen die Kürzungen trotz positiver Steuerprognose auch nach der Krise weiter. Nach Regelsatz und Arbeitslosenrente kommen jetzt die „Förderinstrumente für den Arbeitsmarkt“ unters Messer. Zwischen 2012 und 2015 sollen insgesamt 8 Milliarden Euro eingespart werden: Gekürzt wird bei Hilfen für Ältere, Weiterbildungen und beim Gründungszuschuss. Für letzteren liegen die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit derzeit bei 1,8 Milliarden Euro. Nächstes Jahr sollen es nur noch 400 Millionen Euro sein. Die Reform tritt am 1. April 2012 in Kraft – nur den GründerInnen will man bereits am 1. November 2011 an die Wolle.

Beim derzeitigen Gründungszuschuss werden für neun Monate Arbeitslosengeld zum „Lebensunterhalt“ plus 300 Euro zur „sozialen Absicherung“ gezahlt. Dies ist die einklagbare Pflichtleistung. Danach schließen sich optional sechs Monate mit 300 Euro an. Die Selbstständigkeit muss 90 Tage vor Ablauf des ALG-Anspruchs beginnen.

Der Druck soll nun steigen: Statt 90 müssen noch 150 Tage Anspruch auf ALG bestehen. Die erste Phase ist drei Monate kürzer und die zweite Phase dafür drei Monate länger. Entscheidend ist allerdings die Umwandlung von einer Pflicht- in eine Kann-Leistung, mit der die Arbeitslosen den SachbearbeiterInnen ausgeliefert sind. Nach jahrelangen Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung wird einem nun mit staatlicher Gutsherren-Mentalität à la Hartz IV die Tür vor der Nase zugeknallt.

Um die Kürzungen zu rechtfertigen, beklagt Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen „Mitnahmeeffekte“ erfolgreicher GründerInnen, die es auch so geschafft hätten, und scheiternde „Notgründungen“ von Arbeitslosen, die nicht fähig zur Selbständigkeit seien und deshalb vom Staat vor sich selbst geschützt werden müssten. Das Geld sei also fehlgeleitet.

Zu einem anderen Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB): Der Gründungszuschuss sei erfolgreich, denn fünf Jahre nach der Gründung wären immer noch zwischen 55 und 70 Prozent der Geförderten selbständig. Selbst der Chef der Arbeitsagentur hält ihn für ein bewährtes Mittel, da er im Jahr 140.000 Menschen helfe.

Statistiken zeigen aber auch, dass viele Selbständige nur umetikettierte Lohnabhängige sind. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn ermittelte 2010 rund 417.600 gewerbliche Existenzgründungen, von denen 80% die Rechtsform „Einzelunternehmen“ wählten. Hinzu kamen ca. 61.000 FreiberuflerInnen. Also jährlich über 350.000 neue Solo-Selbständige, die versuchen, einen Ausweg aus ihrer Misere zu finden.

Für viele, die durch das Raster von Zertifikaten, Abschlüssen und geradlinigem Lebenslauf fallen, ist Selbständigkeit eine Chance, sich dennoch eine Existenz ohne lebenslange Niedrigstlohnjobs, ohne Chef im Nacken oder Abhängigkeit vom Arbeitsamt aufzubauen. Eine Existenz ohne Urlaub und Krankengeld in Kauf zu nehmen, ist aber auch keine einfache Entscheidung.

Das Problem von Prekarität und Vereinzelung ist jedoch kein individuelles: Auch FreiberuflerInnen und Selbständige können sich organisieren und sich bei Aufträgen, gegen Honorarklau und Lohndumping helfen. Für die modernen TagelöhnerInnen bietet die gegenseitige Hilfe Schutz und die Möglichkeit, gemeinsam doch noch einen richtigen Ausweg zu finden.

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