Editorial

Die Eroberung des Brotes“ heißt ein zentraler Text Pjotr Kropotkins, und Rudolf Rocker lieferte mit „Der Kampf ums tägliche Brot“ 1925 einen Klassiker des Anarchosyndikalismus ab. „Brot und Butter“ forderten die US-amerikanischen Wobblies, und „Bread and Roses“ nennt sich einer der populärsten Filme von Ken Loach. Das sind nur einige von zahlreichen Indizien dafür, dass das Brecht’sche „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ kein Manko der Arbeiterbewegung ist, sondern dass die Notwendigkeit der Befriedigung von Grundbedürfnissen – und hier steht die Ernährung sicher an erster Stelle – der sprichwörtliche „Ursprung der Revolte“ ist.

Die Arbeiterbewegung, nicht nur die syndikalistische, ist groß geworden in solchen Brotrevolten oder Food Riots. Der britische Historiker E.P. Thompson hat das in seinem Beitrag über die „Moralische Ökonomie“ im 18. Jahrhundert beschrieben. Amüsanterweise sind das in Deutschland oftmals Bierrevolten gewesen. Wir haben uns gegen das Klischee entschieden und beschreiben das Phänomen am Beispiel des Hamburger Sülzeaufstands von 1919 (siehe Auf das Rathaus die rote Fahne!).

„Revolte“ ist ein Stichwort, das die Medien weiter dominiert. Schlagzeilen macht die „Occupy“-Bewegung, die sich nicht nur von der Wallstreet bis Frankfurt am Main erstreckt, sondern virtuell auch von der Sesamstraße bis ins Legoland, wie die ARD-Tagesschau zu berichten wusste. Dabei geben sich die Massenmedien wie üblich geschichtslos. Nicht nur vergessen sie die oben angedeutete Geschichte der Revolten, nein, sie haben offenbar schon die Ereignisse des Frühjahrs in Tunesien, Ägypten und den anderen unruhigen Ländern ad acta gelegt. Griechenland etwa habe mit Dimítris Kotzarídis am 20. Oktober seinen ersten Toten gehabt (vgl. 48 Stunden Generalstreik in Griechenland) – der Tod von Alexandros Grigoropoulos im Herbst 2008 scheint vergessen bzw. hat vermeintlich nichts mit der Krise zu tun – so wie wir es offenbar mit einer ganz neuen „Eurokrise“ zu tun hätten, die keinerlei Verbindung zur US-amerikanischen „Immobilienkrise“ aufweise. „Occupy WallStreet“ ist eine Bewegung, die in der Tradition der hier behandelten Kämpfe um Grundbedürfnisse steht. In den USA geht es bei diesen Protesten teilweise um die nackte Existenz, ganze Städte stehen leer, während Zeltstädte im Stil der krisenhaften 1930er Jahre entstehen. Die Motive der Menschen, die an der Wallstreet zelten, sind also gar nicht so verschieden von jenen, die den „Brotrevolten“ in Afrika zugrunde liegen (vgl. Gegen das teure Leben, Hunger – Katastrophe, Protest und Medienereignis).

Insofern ist unser Schwerpunkt zur Ernährungsfrage die konsequente Fortsetzung des letzten DA-Schwerpunkts „Krise und Revolte“. Gleichwohl müssen wir uns an dieser Stelle wundern. Denn seitdem wir im Redaktionskollektiv diesen Schwerpunkt beschlossen haben, steht das Thema „Ernährung“ so sehr im Fokus der Öffentlichkeit wie lange nicht mehr: Günter Jauch debattiert darüber, Dokumentationen gibt es auf sämtlichen Sendern, und Baden-Württemberg widmet dem Thema eine Landesausstellung. Wie üblich, werden wir in der DA aber Aspekte beleuchten, die euch trotz des momentanen Hypes um das Thema nicht in sämtlichen Massenmedien präsentiert werden. Hier geht es vor allem um die soziale Frage, die sich dahinter verbirgt.

Torsten Bewernitz (Redaktion Hintergrund)

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