Gegen das teure Leben

Im Jahr 2008 hat im subsaharischen Afrika ein Zyklus sozial motivierter Revolten und Massenproteste begonnen. Er stand unter dem Motto des Kampfes contre la vie chè, also gegen das teure Leben, das oft unbezahlbar geworden war. Ursächlich dafür war der starke Anstieg der Lebensmittelpreise, der sich nicht nur in Afrika bemerkbar machte, dort aber eine ganze Reihe von Ländern gleichzeitig in die Krise stürzte.

 

Spontane und organisierte Proteste

In Moçambique kam es im Februar 2008 zu Auseinandersetzungen, die sechs Tote und über 100 Verletzte forderten. Aber das Epizentrum bildete das französischsprachige Westafrika. Dort erschütterten spontane Riots im Februar 2008 die Länder Burkina Faso und Kamerun. Zu einer zweiten Protestwelle kam es seit März 2008, unter anderem in Senegal, Côte d’Ivoire und erneut Burkina Faso. Auch in Mauretanien und Guinea-Buisseau gab es vergleichbare Prozesse.

Die Organisationsform der Proteste fiel dabei unterschiedlich aus. Mal handelte es sich um relativ spontane, unstrukturierte Ausbrüche in Armutszonen, deren BewohnerInnen sich aufgrund des galoppierenden Preisanstiegs für Nahrungsmittel und Güter des täglichen Grundbedarfs nicht mehr hinreichend ernähren konnten. Mal waren Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen die handelnden Akteure wie in Togo, wo der „Gewerkschaftsübergreifende Ausschuss der togolesischen Arbeiter“ (intersyndicale des travailleurs togolais, ITT) einen Generalstreik für den 29. Februar 2008 anberaumte, diesen aber abblies, nachdem die Regierung wichtige Zugeständnisse in Aussicht stellte und in Verhandlungen eintrat.

Reaktionen von Regierungsseite

Die Regierenden der verschiedenen afrikanischen Staaten reagierten auf die Proteste mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Die Versuche der Regimes, gegen die Ursachen der Brotrevolten zu steuern, sorgten in den meisten Fällen nur für eine vorübergehende Beruhigung. Einerseits gingen sie repressiv gegen die Unruhen vor. Bei den Spontandemonstrationen in der Wirtschaftsmetropole der Côte d’Ivoire, Abidjan, ab dem 31. März 2008 kam es etwa zu zwei Toten und zehn Schwerverletzten. Die Polizei machte von Schusswaffen und Tränengas Gebrauch. Im Senegal blieb das Ausmaß der Repression am Vortag eine Stufe darunter, doch auch hier kam es zu gewaltförmigen Konfrontationen. Insgesamt kam es zu 24 Verhaftungen. In Kamerun forderte die Repression in den letzten Februartagen 2008 rund 150 Tote. Andererseits verkündeten die jeweiligen Regierungen aber auch Maßnahmen, die die soziale Not der Unterklassen lindern und so den Druck abbauen sollten. Dazu gehörten die Senkung oder Aussetzung der Importsteuern auf bestimmte Grundnahrungsmittel oder Güter des Alltagsbedarfs (wie sie jüngst in Kamerun beschlossen wurde) sowie die Subventionierung der wichtigsten Nahrungsmittel – etwa in Marokko, Algerien, Tunesien und im westafrikanischen Mali.

Die Reaktion der verschiedenen Regierungen, insbesondere die Förderung des inländischen Anbaus von Grundnahrungsmitteln, konnte ab 2008/09 zumindest den weiteren Anstieg der Nahrungsmittelpreise stoppen. Die unter dem Druck der unmittelbaren Not ausgebrochenen Kämpfe flauten zunächst ab. Zumindest im Falle des westafrikanischen Staats Burkina Faso jedoch brachen sie im ganzen ersten Halbjahr 2011 in unterschiedlicher Form wieder auf. Als Initialzündung wirkte der Tod eines Oberschülers auf einer Polizeiwache am 20. Februar, der starke SchülerInnen- und Studierendendemonstrationen auslöste. Ihnen gesellten sich bald die Mitgliedsorganisationen der „Coalition contre la vie chère“ (Koalition gegen das teure Leben) sowie Verbraucherverbände und Gewerkschaften hinzu. Ab April fanden Streiks in verschiedenen Sektoren statt, die einen Monat später durch Soldatenmeutereien überschattet wurden. Erst der Ausbruch der Regenzeit im Juli, der den Beginn der Urlaubsperiode an Schulen und Universitäten markiert, hat ein vorläufiges Abflauen der heftigen Kämpfe und Mobilisierungen bewirkt.

Brotrevolte auf Mayotte

Das aktuellste Beispiel sozialer Kämpfe gegen zu hohe Preise für Grundbedarfsgüter liefert die administrativ zu Frankreich gehörende Insel Mayotte im Indischen Ozean. Sie gehört geographisch zum Archipel der Komoren, war aber bei dessen Unabhängigkeit 1975 provisorisch bei Frankreich verblieben. Am 29. März 2009 stimmte die Inselbevölkerung über ihre endgültige Angliederung an Frankreich ab. 99 Prozent sagten „Ja“ dazu. Motiviert war dieses Votum überwiegend durch die Aussicht auf Rechtsgleichheit gegenüber den BürgerInnen im europäischen Festlandfrankreich: Reisefreiheit durch den Besitz eines europäischen Passes, soziale Mindestabsicherung, Krankenkasse, Sozialleistungen usw. Doch die Aussicht trog: Den aktuellen „Sozialhilfe“satz in Frankreich (RSA) gibt es nunmehr zwar auch auf Mayotte – aber nur in Höhe von 25 Prozent des in Kontinentalfrankreich geltenden Satzes. Gerechtfertigt wird dies durch „niedrigere Lebenshaltungskosten vor Ort, in einer anderen wirtschaftlichen und sozialen Umgebung“. Der geviertelte RSA existiert noch nicht einmal, sondern soll erst zum 1. Januar 2012 eingeführt werden. Erst nach fünf Jahren kann über seine eventuelle Erhöhung diskutiert werden.

Aber billig ist das Leben vor Ort nicht: Wie in vielen französischen „Überseegebieten und –bezirken“ existiert eine Art „Konsumkorridor mit der Metropole“. D.h., dass viele Waren, besonders Industrie- und Fertigprodukte, nicht mit der näheren geographischen Umgebung ausgetauscht, sondern aus Frankreich importiert werden und entsprechend teuer sind. Dies sorgte immer wieder für soziale Unruhen. Am 27. September begann eine soziale Bewegung, nach Vorbild jener sozialen Protestbewegungen, die es seit 2008 – und dem damaligen Anstieg der Grundnahrungsmittelpreise in ganz Afrika – in großen Teilen des afrikanischen Kontinents gegeben hatte. Ausgelöst worden war die Bewegung durch die örtlichen Ableger der Gewerkschaftsverbände CGT und CFDT, denen sich alsbald die Gewerkschaften FO und CGC (leitende Angestellte) sowie drei lokale Verbraucherverbände hinzugesellten. Schon bei den ersten Demonstrationen kam es zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Wochenlang gab es Demonstrationen und Protestversammlungen. Am 19. Oktober wurde ein 39jähriger Demonstrant, Ali Elanziz, getötet. Die französische Präfektur spricht davon, er sei an Herzversagen gestorben, weil er zuvor eine unsachgemäße Behandlung – falsche Herzmassagen – erhalten habe. Die Protestierenden vermuten einen schädlichen Einfluss des eingeatmeten Reiz- oder Tränengases und fordern jetzt den Rücktritt des Präfekten. Dieses traurige Ereignis schüttet nochmals Öl ins Feuer der sozialen Wut.

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