Kolumne Durruti

Kolumne von Matthias Seiffert

Auf der Suche nach der wahren Delikatesse, deren Köstlichkeit von allen zu jeder Zeit und an jedem Ort geschätzt wird, musste ich mancherlei Enttäuschungen hinnehmen. Denn die meisten Delikatessen sind solche eben nur relativ. Beinahe jede halbwegs passable Speise gereicht zum exquisiten Leckerbissen, wenn sie nur schwer genug zu bekommen und der Preis entsprechend hoch ist. So gilt Hummer in Europa, wo er recht teuer ist, zweifelsfrei als Delikatesse, während er in Nordamerika auf einer Stufe mit Burger und Hot Dog steht. Beim Hummerimbiss Red‘s Eats im US-amerikanischen Bundesstaat Maine etwa bekommt man für schlappe 14 Dollar das Fleisch eines ganzen Hummers im Sandwich, je nach Geschmack mit Remoulade oder Mayo – ein kleiner Happen am Wegesrand, nichts Besonderes eben, denn hier gilt Hummer als Massenware.

Ähnlich verhält es sich mit Lachs, dessen Delikatessenstatus allerdings dank Hydrokulturen weltweit gefährdet ist. Im russischen Fernen Osten, in Kamtschatka oder Chabarowsk, wo jährlich Abermillionen wilde Lachse ablaichen, wird über diesen Fisch eher die Nase gerümpft. Selbst das billigste Fleisch kostet hier doppelt so viel wie Lachs. „Was, schon wieder Lachs?“, dürfte dort die häufigste Reaktion am Tisch sein, wenn der rote Fisch serviert wird. Und wenn jemand am Tresen „Noch etwas Kaviar für den Hund, bitte!“ sagt, dann stellt dies keineswegs einen Akt provokanter Dekadenz dar, denn Lachs und Lachskaviar sind hier tatsächlich echte Arme-Leute-Kost. Womit sich ein Kreis schließt, denn einst galt Lachs generell als Speise der Unterprivilegierten, als er noch überall häufig und erschwinglich war.

Im Kern, so scheint es, verbirgt sich hinter der Idee der Delikatesse nichts anderes als ein Statussymbol herrschender Klassen und Stände. Im Mittelalter grenzte sich der Adel nicht zuletzt über das Essen ab. Zum einen war ihm das Hochwild vorbehalten, zum anderen protzte man in den Küchen von Schlössern, Burgen und Klöstern nicht wenig mit Gewürzen, die zu sündhaften Preisen aus dem Orient eingeführt wurden. Glaubt man historischen Rezepten, war eine mittelalterliche Delikatesse ein bis zum äußersten Rand der Genießbarkeit gepfeffertes Wildragout, danach eine Handvoll kandierter Gewürze zum Dessert, um den Geschmackslärm abzurunden.

Und doch kennt die Beliebigkeit der Kür zur Delikatesse Grenzen. Kaum war der asiatische Fasan erfolgreich in Europa ausgewildert, verschwand ein Tier für immer von unserem Speiseplan, das bis dahin für Könige gerade gut genug erschien: der Schwan. Er gereichte wohl nur optisch zur Delikatesse, der Geschmack des zähen, trockenen Vogels mochte nicht auf Dauer überzeugen. Umgekehrt hielt sich Truthahn nur kurz als Delikatesse in Europa, bis sich das doch recht ernüchternde Aroma des Exoten aus der Neuen Welt allgemein herumgesprochen hatte.

Die Wende zur wahren Delikatesse vollzog erst die Französische Revolution. Das gesamte Volk eignete sich Rezepte und Tischsitten des Adels an, so dass sich ihr Wert als Statussymbol verlor. Übrig blieb die Idee, gemeinsame Mahlzeiten zu zelebrieren, Gerichte raffiniert zuzubereiten und seltene Speisen von erlesenem Geschmack wertzuschätzen. Und so kommt es, dass in Frankreich Austern schlürfende ArbeiterInnen nichts ungewöhnliches sind, und sich ein Stammtischgespräch durchaus darum drehen kann, welcher Ziegenkäse der cremigste ist – eine wahre Delikatesse, eben.

Schreibe einen Kommentar