Editorial

Zugegeben, das Cover dieser Ausgabe zeigt ein besonderes Beispiel für Marginalisierung. David Lynchs „Elefantenmensch“ erzählt die Geschichte eines körperlich stark missgebildeten Mannes und dessen Streben nach sozialer Akzeptanz. Gerade eine körperliche „Verunstaltung“ kann zu besonders scharfer Ausgrenzung führen, wovon etwa auch der Film-Klassiker „Freaks“ handelt. Menschen werden allerdings aus verschiedensten Gründen an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Soziale Marginalisierung geht i.d.R. mit ökonomischen Misslagen einher, die die Existenz gefährden. Obdachlosigkeit, in der jetzigen Jahreszeit lebensgefährlich, ist ein zugespitzter Ausdruck dessen.

Marginalisierte haben sich ihr Leid selbst zuzuschreiben, meinen viele. Sie seien „Versager“, die ihre Leistung nicht erbracht hätten. Während die Medien sich über Jugendliche entrüsten, die sich „Opfer“ herauspicken und drangsalieren, lebt der Kapitalismus tagtäglich das Prinzip des sozialen Terrors vor: Sozial Schwache werden schonungslos gepeinigt, und wenn sie hilflos am Boden liegen, wird nachgetreten.

Mit dieser Ausgabe der DA wollten wir uns verschiedenen Formen von Marginalisierung widmen. Alle konnten wir gewiss nicht abdecken. So war es leider nicht möglich, spezifisch auf die Ausgrenzung etwa von Menschen mit Behinderung einzugehen oder z.B. auf die Probleme der Heimkinder. Auch ein Blick auf Initiativen und Projekte, die sich gegen Marginalisierungen stemmen, wäre von Interesse gewesen, muss aber leider entfallen.

Dafür haben wir uns die Frage nach dem Verhältnis von Marginalisierten und Minderheiten gestellt. Oftmals werden ja ganze ethnisierte Gruppen marginalisiert. Diese Marginalisierung setzt sich häufig auch nach einer Flucht fort. Das zeigen wir etwa am Beispiel der Roma. Aber auch für andere, die gegen ihre Marginalisierung gekämpft haben und letztlich flüchteten, geht die Peinigung weiter. Sie bekommen, wie im geschilderten Fall eines kurdischen Flüchtlings, die deutschen Behörden als verlängerten Arm ihres Herkunftslands zu spüren.

Der Kampf von marginalisierten Minderheiten wirft auch die Frage nach Befreiung auf. Immer wieder musste sich die Linke der „nationalen Frage“ stellen. Dies führte zur Unterstützung von separatistischen oder antikolonialen Kämpfen, deren emanzipatorischer Charakter fragwürdig war und die häufig nur neue Despotien hervorgebracht haben. Dieses Kapitel der europäischen Linken wurde nie adäquat aufgearbeitet, noch heute setzen sich „befreiungsnationalistische“ Positionen fort. Wie sich Anarchismus und Syndikalismus zu dieser heiklen Frage verhalten haben, versuchen wir in der „Zeitlupe“ und im „Hintergrund“ zu beleuchten.

Dabei kamen aber auch Bauchschmerzen bei uns auf. Es wird nämlich auch der nationale Befreiungskampf der KurdInnen thematisiert. Seit wenigen Jahren ist von einem Strategiewechsel der Bewegung die Rede, in den libertäre Positionen eingeflossen sein sollen. Für uns stellte sich die Frage, wie dieser Strategiewechsel theoretisch grundiert ist. Dafür haben wir uns das zentrale Buch Abdullah Öcalans vorgenommen, was durchaus etwas Überwindung abverlangte. Freilich ist mit einer Begutachtung dieses Werkes nicht alles gesagt. Um dessen Inhalt einzuordnen, ist es notwendig, die theoretischen Positionen mit der reellen Praxis der Bewegung zu kontrastieren. Das war hier nicht zu leisten, wird aber hoffentlich noch folgen. Die geneigten LeserInnen sind deshalb dazu angehalten, Öcalans Positionen selbst zu bewerten. So viel Zumutung darf sein.

Eure Redaktion „Betrieb & Gesellschaft“

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