Wer ist eigentlich Jacques Tardi?

Seine Graphic Novels haben in Frankreich 10.000er Auflagen. Seine Comicreihe „Adèle“ wurde unlängst von Luc Besson („Das fünfte Element“) verfilmt.

Der Anarchosyndikalist und Antimilitarist Jacques Tardi gehört zu den ganz Großen der französischen Comicszene. Den DA-LeserInnen mag er durch seinen Zyklus „Die Macht des Volkes“ über die Geschichte der Pariser Kommune bekannt sein.

Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich gerade für diese Tardi-Besprechung Recherche betreibe, aber 2012 bis 2014 scheinen mir Tardi-Jahre gewesen zu sein. 2012 erschien in der Edition Moderne Tardis neuestes und bisher persönlichstes Werk „ICH, RENÉ TARDI, KRIEGSGEFANGENER IM STALAG IIB“ über die Erlebnisse seines Vaters im Zweiten Weltkrieg und in deutscher Gefangenschaft (siehe Randspalte). Um den Jahreswechsel 2012 / 2013 möchte ihm der französische Staat die höchste, staatliche Ehrenbezeugung zukommen lassen, den „Orden der Ehrenlegion“. Tardi lehnt ab. Im Januar 2014 hat der Dokumentarfilm „Tardi – Schwarz auf Weiß“ von Pierre-André Sauvageot mit der deutschen Untertitelung von Andreas Förster in den Berliner Kinos Lichtblick (präsentiert u.a. von der DA) und Moviemento Premiere. Zeitgleich läuft eine Ausstellung mit den Originalbildern aus „STALAG IIB“ im Literarischen Colloquium Berlin (noch bis 4. April) an. Tardi satt!

Tardi wurde am 30. August 1946 in Valence/Frankreich geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Kassel, wo sein Vater als Offizier stationiert war. Später studierte er Kunst in Lyon und Paris. Mit seiner Comicreihe „Adeles ungewöhnliche Abenteuer“ („Adèle Blanc-Sec“) wird er 1976 einem breiteren Publikum bekannt. Dieser frühe Ruhm verstärkt sich noch mit der Graphic Novel „Hier selbst“ („Ici Même“), die er mit dem Autor Jean-Claude Fores verfasste, und der Comicadaption der Krimigeschichten um den Privatdetektiv Nestor Burma von Léo Malet.

Besonders hervorzuheben sind auch Tardis zeichnerische Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg, so geschehen u.a. in dem Band „Elender Krieg“ (Edition Moderne).

Tardi ist ein Vielzeichner. Ein bis drei Alben erscheinen von ihm pro Jahr. Wer sich schon mal an dem Zeichnen eines Comics versucht hat, weiß, wie viel Arbeit ein bis drei Alben sind. In einem arte-Film über Tardi wird dieser gefragt, weshalb er so viel zeichne. „Stalag IIB ist beendet, und ich bin in einer Phase, wo ich nicht arbeite“, antwortet Tardi. „Da fühle ich mich etwas depressiv.“ Der Moderator kichert, aber Tardi meint es ernst: Das Zeichnen ist für ihn eine Art Antidepressivum.

Dabei sind seine Arbeiten zumeist düster und bedrohlich. Das ist sicher auch den Themen geschuldet, denen sich Tardi annimmt: Krieg und Mord. Es liegt aber auch in seinem häufigen Verzicht auf die Farbe begründet. Er brauche die Farbe nicht, um das zu sagen, was er sagen möchte, so Tardi. Weshalb einige Comics der Vergangenheit dennoch Farbe aufweisen, will der Interviewer im arte-Film wissen. „Verkaufsargument des Verlegers“, gibt Tardi zur Auskunft. „Mehr nicht.“

Sympathisch war mir Tardi nicht nur durch sein Bekenntnis zum Anarchismus, sondern auch durch seine Vorliebe für Charaktere aus der ArbeiterInnenklasse. „Der kleine Mann, wie man so sagt“, wie er selber sagt, interessiere ihn, womit er die Frauen in der ArbeiterInnenklasse einschließt. Ihm ist der amerikanische Comic mit seinen Superhelden suspekt. „An diese ‚Helden‘ glaube ich nicht“, sagt Tardi. In „STALAG IIB“ z.B. geht es nicht um Kriegshelden. Es ist die Geschichte der Besiegten, ihrer Enttäuschung und ihrer Verbitterung. Tardi versucht sich mit dieser Auseinandersetzung mit seinem Vater zugleich zu erklären, wie aus jemandem, der sich selber als euphorischen Idealisten beschreibt, ein derart verbitterter und immerzu wütender Mensch werden konnte. Die Wut des Vaters, so Tardi junior, richtete sich vor allem gegen die Nazis, die diese ganzen Verbrechen begangen hätten, und auf den französischen Staat, der „seiner Armee“ etwas vorgemacht hätte, als er ihnen weiszumachen versuchte, sie seien unschlagbar, und der sie in diesen Krieg geschickt hat.

Der Film „Tardi – Schwarz auf Weiß“ gibt weitere Aufschlüsse über den Menschen Tardi und seine Arbeitsweise. Man hat das Gefühl, dem Zeichner über die Schulter schauen zu können. Regisseur Pierre-André Sauvageot hat ihn zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Wir können zuschauen, wie Tardi scribbelt, tuscht, das vermeintlich fertige Bild begutachtet, Fehler entdeckt, retuschiert und es schlussendlich mit einem finalen Strich abschließt. Ebenso dokumentiert der Film Tardis ausgiebige Recherchearbeiten. Für seine Geschichten, die nicht selten in seinem innig geliebten Paris spielen, streicht der Zeichner mit Fotoapparat und wachem Blick durch die Straßen der französischen Hauptstadt. Immer wieder bleibt er stehen, sucht nach dem richtigen Winkel und drückt auf den Auslöser. Die Fotografien dienen ihm als Vorlage für seine Hintergründe, die allesamt präzise im Detail sind. Keine Skulptur, die zu der Zeit, in der das Comic spielt, nicht dort auch wirklich in dem und dem Zustand gestanden hätte, kein Zug, der die falsche Anzahl an Rädern aufweist, werden in den Bildern von Tardi zu finden sein. Die Figuren hingegen sind auffällig schlicht gehalten. Ein Stilschema, das schon bei Tardis Vorbild Hergé (Tim und Struppi) zu finden ist.

Die Kombination Film, Comic, Ausstellung erlaubt tiefe Einblicke in das Werk eines der spannendsten Comickünstler der Gegenwart.

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