„Man muss auch sagen, wofür man ist“

„Es ist leider so, dass linke Organisationen, egal, ob sie sich an den Wahlen beteiligen oder nicht, also auch die anarchistischen, keine Antworten auf existentielle Fragen haben, die die Menschen bewegen“, so lautet das schonungslos bittere Fazit von Fred Alpi, heute Mitglied der französischen Band The Angry Cats. Der aus Schweden stammende und jetzt in Paris lebende Musiker spielte als Gitarrist sowohl in der Berliner Geniale-Dilletanten-Band Sprung aus den Wolken als auch in der legendären französischen Brigada Flores Magon, die sich explizit bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2010 einem militant anarchistisch geprägten Punkrock verschrieben hatten. Seit 2000 veröffentlichte Fred Alpi vier eher in der libertären Blues-Rock-Chansontradition stehende Solo-Alben. Im Gespräch zeigt sich der Musiker und Aktivist bitter enttäuscht über das Versagen der antifaschistischen Szene in Frankreich. Denn hier hat sich der rechtsextreme Front National in der politischen Landschaft etabliert. Bei den Kommunalwahlen Ende März gelang es den RechtsextremistInnen sogar in mindestens zehn Städten den bzw. die BürgermeisterIn zu stellen.

Fred Alpi (vorne), links hinten Chris Gianorsi und rechts Tom Decaestecker. (Foto: Jean Fabien)In Frankreich ist der Antifaschismus leider nicht sehr stark

Fred Alpi hatte ich kennengelernt, als ich vor fünf Jahren das Fest der CNT-Zeitung Le Combat Syndicaliste in Montreuil bei Paris besuchte und ihn für die DA interviewte. Schon damals imponierte mir seine realistische Sicht auf die anarchosyndikalistische Szene. Im Unterschied zur Unfähigkeit, sich aus den engen Anarchozentren herauszubewegen, hat sich der Front National politisch deutlich weiterentwickelt. Dagegen erschöpfen sich die Aktivitäten der autonomen oder libertären Antifa-Szene noch immer im Skandieren von Parolen bzw. im Abbrennen von Pyrotechnik auf Demos, wenn nicht gar im kontraproduktiven Entglasen von Bankenfassaden. Nur wird mit diesem martialischen Auftreten politisch nichts erreicht, eher im Gegenteil. Dann kommt natürlich noch hinzu, dass die linke Szenerie in unterschiedlichste Fraktionen und Grüppchen gespalten ist.

„Das Problem im Antifa-Bereich ist“, beklagt Fred Alpi, „dass es kein klares politisches Projekt gibt. Es ist schon wichtig, Demonstrationen zu machen. Das allein reicht aber nicht. In Frankreich ist der Antifaschismus leider nicht sehr stark. Man kann eben nicht nur gegen etwas demonstrieren und sagen, dass wir gegen die Faschisten sind. Das reicht nicht. Man muss auch sagen, wofür wir sind und was wir wollen. Und auf diese Frage haben die antifaschistischen bzw. linksradikalen Organisationen absolut keine Antwort.“

Dagegen hätten die Rechtsextremen seit dreißig Jahren sehr hart an ihren politischen Konzepten gearbeitet. „Die haben Think-Tanks, in denen programmatisch sehr effektiv gearbeitet wird. Das betrifft Fragen zu nationaler Identität, auch dass sie sagen, oh non, wir sind nicht rassistisch, wir sind nur für verschiedene Kulturen, die sich nicht mischen sollten. Und diese Vorstellungen finden auch Resonanz in den klassischen konservativen Parteien und sogar im sozialdemokratischen Parti Socialiste. Alle klassischen französischen Parteien vertreten jetzt letztlich Positionen des Front National. Seit ungefähr zehn Jahren nutzen sie sehr intelligent und effektiv die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter. Und die Linken und AnarchistInnen sagen ja immer noch, dass Facebook und Twitter als Instrumente des Kapitalismus abzulehnen seien. Sie haben noch immer nicht verstanden, dass diese Netzwerke auch Plattformen sein können, um Leute zu treffen. Also brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sehr viele junge Leute den FN wählen, weil sie via Internet von denen erreicht werden. Für viele junge Menschen sind die sozialen Netzwerke der einzige Kontakt zur Politik. Und die Rechtsextremen stellen sich in diesen dar als ‚echte RebellInnen‘ und als diejenigen, die gegen das System sind.“

Die radikale Linke findet keine Antworten

Im Unterschied zum Front National tritt die radikale Linke auf der Stelle. Das führt Fred Alpi mit darauf zurück, dass linke Organisationen auf ökonomische Probleme keine Antworten haben. „Da gibt es dann meist nur Slogans gegen den Neoliberalismus. Da bekommt man höchstens zu hören, dass die wirtschaftlichen Probleme die Folgen des Kapitalismus sind.“ Und was Sexismus, Homophobie und Rassismus betrifft, hätte die radikale Linke, ob jetzt TrotzkistInnen oder AnarchistInnen, außer Phrasen und Parolen keine glaubwürdige Alternative anzubieten. „In der Linken wird noch immer gedacht, allein der Klassenkampf sei die Lösung für alle Probleme. Alles wird auf den ökonomischen Kampf reduziert. Dagegen kommt der Faschismus aus drei Richtungen. Zum einen argumentieren die FaschistInnen ultrakapitalistisch. Auch deren Frauenbild beinhaltet, dass die Frauen zu Hause bleiben sollen. Also sie sind patriarchalisch und immer auch rassistisch. Bei ihnen spielen Klasse, Rasse und Sex/Geschlecht immer eine Rolle. Demgegenüber stellen die linken Organisationen immer nur den Klassenkampf in den Vordergrund. Da hat sich seit den achtziger Jahren überhaupt nichts geändert. Daher sind die Linken isoliert und bekommen keinen Kontakt zu denjenigen, die existentielle Schwierigkeiten haben.“

Rock aus der Isolation

Fred Alpi und seine Angry Cats versuchen mit ihrer Musik ein Publikum jenseits der Anarcho-Punk-Szene zu erreichen. „Wir machen Rock, integrieren Rockabilly, der mich stark beeinflusst hat, aber wir sind auch geprägt durch Punk- und Hard-Rock und Blues, ohne ‚vintage‘ zu sein. Mit unserer Musik und bei unseren Auftritten erreichen wir natürlich ein größeres Publikum, als wenn wir nur in autonomen Zentren spielen würden. Dorthin kommen eh nur die sowieso schon von den Ideen Überzeugten. Spielst Du Rock, erreichst Du auch ein erst mal nur an der Musik interessiertes Publikum. Mit diesen Leuten dann zu kommunizieren, das kann interessante Debatten ergeben. Klar, ich bin sehr deutlich und erkennbar Anarchist und Anti-Rassist und artikuliere meine Standpunkte. Und ich mag es, wenn ich junge und ältere Menschen mit verschiedenen Backgrounds treffe.“

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