„…nicht lang G‘schichten machen, schlagt sie tot!“

„In diesem Augenblick proklamieren wir Bayern zur Republik, geleitet von seinen Arbeiter- & Soldatenräten.“

Nein, es war nicht etwa Kurt Eisner, der mit diesen Worten als Erster die bayerische Räterepublik1 ausrief. Es war Erich Mühsam. Am 7. November 1918 fand zunächst eine Großkundgebung auf der Münchner Theresienwiese mit ca. 60.000 Menschen statt. Der Großteil dieser von SPD, USPD und Gewerkschaften durchgeführten Veranstaltung stapfte im Anschluss der Blaskapelle hinterher Richtung Friedensengel, Kurt Eisner spaltete sich mit rund 2.000 Menschen ab um geradewegs durchs Münchner Westend zu den Kasernen zu gelangen. Mühsam war bereits dort:„Ich persönlich sehe ihn immer, wie er an der Seite seiner ebenso handfesten wie herzensgütigen Frau an der Ecke der Münchner Theresienstraße aus dem Tramwagen springt und geschwungenen Regenschirms zur Türkenkaserne rennt, um die vor den geschlossenen Toren der Hochburg des königlich bayerischen Militarismus stockenden Revolutionäre anzufeuern, die erst lachenden, dann nachdenklich werdenden Soldaten zum Anschluss an seine Leute aufzufordern. Ich glaube keine Geschichtsklitterung zu treiben, wenn ich sage, dass ohne Erich Mühsams Eingreifen in jener Minute die Sache des Münchner und damit des gesamten deutschen Umsturzes zumindest auf das Verhängnisvollste verzögert worden wäre; denn es kam damals alles darauf an, diese letzte und wichtigste Machtposition der alten Gewalten auszuschalten. Das aber ist der ganze Mensch: mit einem Regenschirm auf die Barrikade!“So beschrieb der Zeitzeuge und Publizist Harry Kahn die Situation. Die alten Werte und Strukturen stehen in diesen Stunden und Tagen zur Disposition. Erich und Zenzl sind an vorderster Front dabei.

Zenzl Mühsam um 1920
Zenzl Mühsam um 1920

Die das Volk bisher geleitet,

folgend dem gewohnten Lichte, waren nicht drauf vorbereitet: es begibt sich Weltgeschichte. Wild schlägt der Empörung Welle an des Staates morsche Fugen. Krachend bersten die Gestelle, die die alte Ordnung trugen. Ja, ja, ihr Herrn, so geht‘s,

Eigentlich hätte Erich Apotheker werden und den Beruf des autoritären Vaters in Lübeck weiterführen sollen. Doch all die Schläge, die ihn zur Räson bringen sollen, nützen nichts. Nachdem der Sohn bereits mit 17 wegen „sozialdemokratischer Umtriebe“ von der Schule flog, weil er Schulinterna an eine sozialdemokratische Zeitung weitergab, nimmt er Reißaus, weg von Siegfried Mühsam, dem Vater und Kriegsveteran, der auf preußischer Seite in den 1860ern gegen die Österreicher zu Felde zog. Weg von Mutter Rosalie und der jüdisch-orthodoxen Gemeinde seines Elternhauses. Sein psychosoziales Moratorium treibt ihn einmal quer durch Europa. Berlin, Italien, Frankreich, Österreich. Er kommt in Kontakt mit anarchistischen Ideen, betätigt sich bald politisch und steht 1903 unter polizeilicher Beobachtung. Er stand in Kontakt zur Lebensreformbewegung, 1905 hält er sich selber längere Zeit in Ascona in einer Kommune auf. Drei Jahre später sollte es nach München gehen.

Vergiß nicht der Husaren wegen


der Münchner Gaudi wahren Segen.
 Willst dort Du Dir Dein Glück bereiten,
 wer wird Dich einst zurückbegleiten?

Hier tritt er regelmäßig als Kabarettist auf, schreibt für die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ und ist Teil der Münchner Bohème. Auf der Suche nach Wegen zur Revolution versucht er das sogenannte Lumpenproletariat zu agitieren, der „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“, wie Karl Marx es einmal nannte. Mühsam hatte da eine gegenteilige Vorstellung. Er glaubte vielmehr, mit dem Proletariat sei keine Revolution mehr zu machen, zu sehr seien sie von der Sozialdemokratie verbürgerlicht worden. Er gründet unter anderem zusammen mit Gustav Landauer den „Sozialistischen Bund“, eine Organisation, die diverse dezentrale Kommunen vereint. Des Weiteren gründet er die Gruppen „Tat“ und „Anarchist“. Die Treffen finden in verruchten Spelunken statt, wo sich Gauner, Gaukler, Taschendiebe, Bordellhalter, Lumpensammler und Hehler ihr Stelldichein geben.

Familie Mühsam: Links Mutter Rosalie, rechts der Vater Siegfried, Erich ist der Dritte von links
Familie Mühsam: Links Mutter Rosalie, rechts der Vater Siegfried, Erich ist der Dritte von links

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.

Wir sind ein schäbiges Lumpenpack, Auf das der Bürger speit. Der Bürger blank von Stiebellack, Mit Ordenszacken auf dem Frack, Der Bürger mit dem Chapeau claque, Fromm und voll Redlichkeit.

1910 wird Mühsam angeklagt, wegen Geheimbündelei, ursprünglich ein Tatbestand, der für die Freimaurer erfunden wurde. Letztlich wird er frei gesprochen, diesmal. Für Obrigkeit und Kapital muss er ein höchst unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein ob seiner Agitationsfähigkeit. Doch auch seinen eigenen Leuten muss er oft das Kraut ausgeschüttet haben, etwa wenn Mühsam ohne Unterlass SPD-Versammlungen besucht, dem vorstehenden Podium im Alleingang Kontra gibt und die Versammlung so lange stört, bis er rausgeschmissen wird. Seiner Abneigung der Sozialdemokratie gegenüber gibt er denn auch in seinem lyrischen Werk Raum, etwa im bekannten Gedicht „Der Revoluzzer“2. Hinter der Revolutionsrhetorik sieht er keinen ernsthaften Willen zur grundlegenden Veränderung. Diese Einschätzung behält er auch bei als er, sehr viel später um 1919, kurzzeitig in die KPD3 eintritt, schnell aber wieder austritt und feststellt, dass letztlich alle Energien einer Partei in ihre Existenzberechtigung laufen. “Umgekehrt wird die Energie nachlassen, im Klassenkampf vor Ort zu bestehen.“

Kreszentia Elfinger kommt 1884 in Haslach zur Welt (das heutige Au in der Hallertau) und damals wie heute wichtiges Hopfenanbaugebiet. So ist sie auch Tochter eines Hopfenbauers und Gastwirts. Als sie dreißig Jahre alt war lernte sie den sechs Jahre älteren Erich kennen. Als Anarchist gilt Mühsam die Ehe natürlich nicht viel. Da er aber kein bayerischer Staatsangehöriger war, barg das Konkubinat zu Zenzl, wie Kreszentia genannt wurde, im katholischen Bayern das Risiko der Ausweisung. So heirateten die beiden 1915. Zenzl hatte mit 18 ein uneheliches Kind, Siegfried, bekommen. Es sollte ihr einziges Kind bleiben, welches nun zu den beiden nach München-Schwabing zog und offiziell auch dem Vormund Erichs unterstand. Der dänische Dichter Nexö war oft bei den Mühsams zu Besuch: „Es war mit einem gewissen Risiko verbunden, die Familie zu besuchen. Polizei in Zivil schlich um das Haus herum und passte genau auf, wer dort ein und aus ging. Auf mannigfache Weise spürte man, dass seine Schwelle gezeichnet war. Aber es lohnte sich, die unsichtbare Sperre zu durchbrechen. In dem hohen Mietshaus in der Münchner Georgenstraße hausten hoch unter dem Himmel als zwei freie Vögel Erich und Zenzl Mühsam. Von außen waren sie so verschieden wie überhaupt möglich: sie durch und durch Land und freier Himmel, er die Großstadt mit Ästhetik und Bücherlust. Und dennoch passten sie zusammen, bildeten ein seltenes Beispiel der Kameradschaft. Sie verließ ihre Küche ebenso ungern wie er sein Studierzimmer; Ihre Mahlzeiten waren ebenso anregend und würzreich wie seine Anmerkungen; ihr Geist war ebenso revolutionär wie seiner. Aus der Küche warf sie wie helle Funken ihre Bemerkungen in die Diskussion, deren Teilnehmer waren revolutionäre Künstler, revolutionäre Arbeiter, dieser und jener aufrührerische Soldat. Unbewusst hatten Erich und Zenzl um sich herum eine Welt geschaffen, in der man die Luft einer neuen Zeit schon atmete.“Mühsam bezieht bereits früh Stellung gegen den Weltkrieg, organisiert pazifistische Aktionen und wird zeitweilig in Traunstein interniert. Als der Krieg verloren ist wird Mühsam entlassen. Die Revolution bricht sich Bahn in jenem November 1918. Und, wie gesagt, die Mühsams vorne mit dabei. Nach seiner Rede vor der Türkenkaserne klappern Erich und Zenzl weitere Kasernen ab. Meist wurden sie mit roten Fahnen und Jubel begrüßt. An diesem Abend hielt Mühsam sieben Reden in denen er zur Revolution aufrief und erinnert sich daran, danach vor Heiserkeit kein Wort mehr heraus bekommen zu haben. Für eine kleine Anweisung an einen Soldaten muss es aber dennoch gereicht haben. Dieser sollte zu Rainer Maria Rilkes Wohnung gehen und einen Zettel an der Tür anbringen: „Beim Dichter Rilke darf nicht geplündert werden.“ Unterschrift: „Die Revolution“.Dies sollte der letzte Tag der Monarchie in Bayern sein. Der König floh mit kleinem Hofstaat, ein Nationalrat wurde gebildet. Diese Übergangsregierung blieb recht farblos, tiefgreifende Veränderungen verhinderte allein schon der Konflikt zwischen der revolutionären USPD und der SPD, die die Revolution bestenfalls als rhetorische Floskel im Repertoire behielt.

Stempel des Zentralrates der Republik Bayern
Stempel des Zentralrates der Republik Bayern

Am 21. Februar wird Kurt Eisner ermordet und in der Folge übernimmt der „Zentralrat der Bayerischen Republik“ die Macht. Mühsams Antrag vor dem Bayerischen Rätekongress, die Räterepublik auszurufen wird zunächst noch abgelehnt. Bald darauf flieht der Landtag nach Bamberg, dessen Aufgabe zu großen Teilen darin bestand, die am 7. April ausgerufene „Räterepublik Baiern“4 zu bekämpfen, angeführt von Johannes Hoffmann und seinem SPD-Kabinett sowie der „Bayerischen Volkspartei“. Die Diffamierung der Revolution erreicht immer neue Höhepunkte. Zur Lynchjustiz wird da aufgerufen, Landauer und Mühsam würden die Frauen verstaatlichen wollen. Tatsächlich frauenfeindlich zeigt sich allerdings die Konterrevolution. Mühsam schreibt von standrechtlichen Erschießungen, wo „die ersten Schüsse auf die Geschlechtsteile von Frauen und Mädchen“ gingen. Mühsam wird psychiatrisch „untersucht“ und unter anderem als aphoristisch, kritiklos, verworren und als „Fanatischer Psychopath“ bezeichnet. Zenzl wird später in der Öffentlichkeit gar als „Flintenweib“ und „Spartakistenhure“ herhalten müssen. Auf der Straße wird ihr hinterhergerufen: „Schlagt sie nieder, das sind die Richtigen, die Frau Mühsam, nicht lang G‘schichten machen, schlagt sie tot!“ Die Kampagne des SPD-Kabinetts zeigte ihre Wirkung. Es gab Hungerblockaden gegen die Räterepublik, die SPD unterstützte die Bildung von reaktionären Freikorps und hetzte selbige auch zur blutigen Niederschlagung der Revolution zusammen mit Reichswehrverbänden Richtung München. Am 2. Mai eroberte die sogenannte „weiße Armee“ München zurück.

Aber plötzlich ward es stille.

Noske5 ballte seine Faust, Und es rollten seine Augen, Daß es den Genossen graust, Und er rief: „Euch lobt der Bürger, Denn ihr meint’s ja alle gut. Aber hier, seht meine Hände: Jeder Finger trieft von Blut.
 Ruhe, Sicherheit und Ordnung tun dem Kapitale not. Fünfzehntausend Proletarier schlugen meine Garden tot.“

Nächste Ausgabe wird es im zweiten Teil um Zenzls Antirepressionsarbeit, Mühsams Freilassung und um seine Ermordung gehen, sowie um die Rettung von Erichs Werk durch seine Frau.

Anmerkungen:

[1] Manche sprechen von der „Münchner Räterepublik“. Da der Aufstand 1919 aber in Augsburg seinen Anfang nahm und noch einige weitere bayerische Orte erfasste muss man richtigerweise von der „bayerischen Räterepublik“ sprechen.

[2] Zum Beispiel hier nachzulesen: de.wikisource.org/wiki/Der_Revoluzzer

[3] Die KPD, Kommunistische Partei Deutschlands, ging aus verschiedenen linksrevolutionären Gruppen hervor, unter anderem aus dem Spartakusbund, dessen Mitglieder wiederum fast alle auch Mitglieder der „Vereinigung Revolutionärer Internationalisten“ waren. Diese Vereinigung wiederum wurde von Erich Mühsam und FreundInnen gegründet.

[4] Das „i“ in „Baiern“ ist volle Absicht und ein Seitenhieb gegen die Monarchie, war das „y“ doch eine von Ludwig I. angeordnete Schreibweise.

[5] Damaliger SPD-Reichswehrminister, verantwortlich für die blutige Niederschlagung der Räterepublik, die er selber als „Karneval des Wahnsinns“ bezeichnete.

Fotos aus dem Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

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