Take This Society

Kann und muss Kunst politisch sein? Zu dieser und anderen Fragen hatte ich am 11. März im Pavillon Hannover die Gelegenheit, Frank Spilker, Sänger und Gitarrist der Hamburger Band „Die Sterne“ und inzwischen auch Buchautor, sowie Raul Zelik, Autor mehrerer Bücher über urbane Verhältnisse von Venezuela über Kolumbien bis Berlin, zu befragen. Dies im Rahmen der Veranstaltung „TAKE THIS SOCIETY – Politische Kunst & Urbaner Raum“. In der Programmankündigung hieß es zur Thematik des Abends, dass untersucht werden sollte: „die Beziehung von Subkulturen und politischen Bewegungen, z.B. bei der Roten Flora in Hamburg oder der Freiraum-Bewegung in Berlin. Denn schließlich geht auch die Geschichte des Pavillons auf eine kulturelle Aneignung urbanen Raums zurück. Doch ist die dabei entstehende Kunst automatisch eine politische? Und was passiert mit ihr, wenn sich die politischen Bewegungen und Subkulturen überleben?“ Soweit die thematischen Vorgaben.

Daher richtete ich die Frage, was das kulturelle Engagement und das Agieren im Politischen betrifft, gleich weiter an Frank Spilker, der sich ja wahrnehmbar in politische Diskurse einmischt und sich z.B. durch sein Mitmachen bei Erich-Mühsam-Soiréen inhaltlich verortet. „Für mich persönlich ist die Antwort auf die Frage relativ einfach. Kunst, die sich nicht auf das Gemeinwesen bezieht, finde ich relativ langweilig.“ So gäbe es bestimmte Bereiche, z.B. die Grundlagenforschung, wo es angemessen sei, das gesellschaftliche Leben auszuklammern. Für ihn als Künstler stehe die Interaktion mit dem Publikum schon im Mittelpunkt. Persönlich seien ihm unverstellte, direkte Feedbacks auf das, was er sage, sehr wichtig. Genauso wie sich nicht im Elfenbeinturm aufzuhalten, sondern gedanklich auf der Straße zu sein. „Man muss das Politischsein ziemlich klar definieren. Man kann das ja sehr weit auslegen. Ich finde z.B. nicht, dass politisch sein bedeutet, sich auf tagespolitische Fragen zu beziehen. Dafür sind manchmal auch die Wege, die man wählt, einfach zu langsam und auch nicht geeignet.“ Politik im parteipolitischen Sinne stehe der Kunst oft entgegen, weil es einen Populismus brauche, der im Widerspruch zur Kunst stehe. Populismus im Bereich der Popmusik gehe schnell in Richtung des Schlagers. Kunst müsse, so Frank Spilker, immer einen Schritt voraus und spezieller sein. Gerade am Beispiel des Engagements von sehr vielen KünstlerInnen im Recht-auf-Stadt-Zusammenhang für das Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge oder auch in der Frage der Essohäuser auf St. Pauli oder bei der Besetzung des Gängeviertels gebe es Gemeinsamkeiten. „Das ist wie bei der Roten Flora. Da wird ein Ort erobert und verteidigt. Die Stadt unterstützt das sogar aus dem einfachen Grund. Wenn da nämlich ein Zentrum entsteht, dann geht die Gentrifizierung richtig los, dann steigen die Mieten. Das ist ja der Grund, weshalb das geduldet wird. Das ist heute anders als noch in den achtziger Jahren, als es um die besetzten Häuser in der Hafenstraße ging. Damals ging es noch um das Prinzip, dass sich nicht einfach jemand Privateigentum nimmt. Da hat Hamburg gelernt. Das ist aber nicht unbedingt als positiv zu bewerten.“ Denn auch in der Umgebung des Gängeviertels würden jetzt die Mieten steigen. Dabei sei das Viertel nicht gerade als attraktiv zu bezeichnen, abgesehen vom Leuchtturm des besetzten Häuserkomplexes.

Es gilt Rezeptionsgewohnheiten zu durchbrechen

Für Raul Zelik sagt der Begriff der politischen Kunst heute nur noch wenig aus. „Da hat man Assoziationen, die nicht so toll sind. Das eine ist eine Form von Agitprop, die Musik oder Literatur als ein Vehikel nutzt“, warf Raul Zelik ein und führte weiter aus: „Darum kann es natürlich nicht gehen. Wenn wir so zwanzig, dreißig, vierzig Jahre zurückschauen, hatten wir eine ganze Menge von schlechter Literatur.“ Heute werde im Feuilleton so getan, als gebe es eine Renaissance der politischen Literatur. „Damit meinen die den Aspekt, ob sich Leute dafür interessieren, ob sie SPD oder CDU wählen. Juli Zeh und Ilija Trojanow werden in den Medien so als politische Autoren durchgereicht. Die sind natürlich schon irgendwie politisch. Es gab ja auch so einen Aufruf von AutorInnen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Ich wurde auch gefragt, ob ich da unterzeichne, was ich aber nicht gemacht habe, weil ich zwar das Anliegen richtig, aber die Erklärung so blöd fand. Da ging es halt darum, dass Daten Privateigentum sind und sich deshalb der Staat diese nicht aneignen darf. Wo ich schon gedacht habe, das ist politisch. Aber mit der Haltung kann ich gar nichts anfangen.“

Viel stärker im Sinn einer politischen Intervention sei die Dresdner Rede von Sibylle Lewitscharoff gewesen. In ihrer Rede ging Lewitscharoff ja unter anderem auf Themen wie künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft ein. Zelik attestierte den Ausführungen von Lewitscharoff bodenlose Idiotie. Und vor diesem Hintergrund könne er mit dem Begriff der politischen Literatur bzw. deren Interventionsfähigkeit wenig anfangen. Daher habe er sich, wenn er dazu befragt werde, eine Brücke gebaut. „Ja, es geht im Bereich der Literatur um Gesellschaftskritik, die verschiedenste Dimensionen hat. Zumindest zwei. Gesellschaftskritik ist nicht nur, dass man sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzt, sondern dass man beim Schreiben oder beim Filmen auch Formen wählt, die geeignet sind, Rezeptionsgewohnheiten zu durchbrechen. Eine kritische Geschichte kann man nicht in einer total gefälligen Form erzählen. Daher finde ich auch diese gesamten linken Krimis irgendwie unsäglich.“

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