Anmerkungen zur betrieblichen „Mitbestimmung“

Wie die Überschrift sagt, handelt es sich hier nur um einige Anmerkungen zum Thema. Jeder einzelne Aspekt, den ich im Folgenden kurz besprechen werde, verdient eigentlich eine ausführliche Betrachtung. In einer Zeitung ist das jedoch nicht leistbar – dazu müsste man schon ein Buch schreiben. Trotzdem hoffe ich, dass Euch meine Anmerkungen zur Diskussion anregen. Ich möchte mich auch dafür entschuldigen, dass ich relativ ausführlich das Betriebsverfassungsgesetz zitiere. Da dieses aber oftmals überhaupt nicht bekannt ist, sah ich keine andere Möglichkeit. Wenn ich mich am Ende auch noch kurz auf das Tarifverfassungsgesetz und die Gewerkschaften beziehe, ist dies ein wenig unvermittelt, aber dennoch unverzichtbar.

Geschichte…

Spätestens seit auf der Nationalversammlung im Jahre 1848 ein Gesetzesentwurf diskutiert wurde, der unter anderem die paritätische Besetzung einer erst noch einzurichtenden Gewerbekammer vorsah, ist die betriebliche Mitbestimmung auf dem Gebiet der heutigen BRD immer mal wieder ein Thema gewesen. Allerdings sollte es noch gut 50 Jahre dauern, bis es erste Gesetze zur Bildung oder Zwangseinrichtung von „ArbeiterInnenausschüssen“ gab. Während des Ersten Weltkrieges galt das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“, das bei kriegswichtigen Betrieben mit 50 und mehr ArbeiterInnen ArbeiterInnenausschüsse vorsah. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften (und natürlich auch die Partei) befürworteten das Gesetz, das unter anderem die Zwangsverpflichtung von ArbeiterInnen für die Kriegsproduktion vorsah. Letzteres wurde zu einem beliebten Mittel, um bei Streiks die militanten ArbeiterInnen einzuziehen. Die ArbeiterInnen- und Betriebsräte, die während der Revolutionen von 1918/19 und dem März 1920 spontan entstanden, setzten die sozialdemokratische Regierung und die Vorläuferorganisation des heutigen DGB unter Handlungszwang.

Während sich die revolutionären ArbeiterInnen- und Betriebsräte durchaus das Recht herausnahmen, tief in die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der ChefInnen einzugreifen, denn immerhin sollte die Situation genutzt werden, den „Sozialismus“ zu installieren (auch wenn es so gut wie keine Vorstellungen dazu gab, was „Sozialismus“ denn sei, und ob die ArbeiterInnen selbst oder doch eher der Staat die Betriebe „vergesellschaften“ solle – aber das ist ein anderes Thema), sah der erste Gesetzesentwurf keinerlei wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte der ArbeiterInnen vor. Die Ablehnung dieses „Betriebsrätegesetzes“ war so stark, dass es geändert wurde. Statt handfester wirtschaftlicher Mitbestimmungsrechte, die sich an den Arbeitskämpfen und den Erfahrungen der ArbeiterInnen orientierten, wurde beschlossen, dass die „ArbeitnehmerInnenvertretungen“, also die anerkannten Gewerkschaften, bei Betrieben mit einer bestimmten Mindestgröße zwei VertreterInnen in das Aufsichtsorgan schicken konnten und dort eingeschränkte Mitwirkungsrechte in Bezug auf die „sozialen Belange“ hatten. Selbst dieses absolut unzureichende Gesetz wurde am 20. Januar 1934 durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit aufgehoben.Ab 1946 gibt es dann wieder Bestrebungen, die Regelungen der Weimarer Republik wieder in Kraft zu setzen. In der Montanindustrie werden zum Teil eigene Wege beschritten.

Und heute…

Erst am 14.11.1952 trat das neue Betriebsverfassungsgesetz in Kraft. Im Kern schreibt es die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ von ChefInnen und ArbeiterInnen bzw. ihren offiziellen VertreterInnen fest. An dieser Festschreibung und Verpflichtung änderten auch die zum Teil sehr umfangreichen Änderungen der Jahre 1972 und 2001 nichts. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich im Dezember 1985 unmissverständlich dazu, wie das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) im Kern zu verstehen sei: „Die Vorschriften des BetrVG dienen gerade dazu, den vorgegebenen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der betrieblichen Interessenvertretung angemessen zum Ausgleich zu bringen. Sie berücksichtigen, dass der Arbeitgeber – ungeachtet der Organisationsform des Unternehmens – zur Wertschöpfung und zur Erreichung des Unternehmenszweckes der Mitwirkung der Arbeitnehmer bedarf.“

Flankiert wird das ganze durch den §74 des BetrVG. Dieser Paragraph verbietet dem Betriebsrat (BR) einerseits jede Form des Arbeitskampfes und des Aufrufes zum Arbeitskampf (sogenannte Friedenspflicht) und verpflichtet den BR anderseits dazu, alles zu unterlassen, was den Arbeitsablauf oder den Betriebsfrieden stören könnte. Dem gegenüber stehen bestimmte „Mitwirkungsrechte“ des Betriebsrates.

Informationsrechte:

Diese sind relativ umfassend, werden jedoch oft, auch unter juristischen Gesichtspunkten zu unrecht, mit dem Siegel der Geheimhaltung (Stichwort: Betriebsgeheimnis) versehen. Das führt dazu, dass Betriebsräte, wenn sie denn ihr Recht auf Information wahrnehmen und darüber hinaus überhaupt in der Lage sind, diese auch zu verarbeiten, oft Dinge wissen, von denen sie aber keinen oder kaum Gebrauch machen, da sie davon ausgehen, dass es sich um „vertrauliche Informationen“ handelt und sie sich ggf. strafbar machen.

Beratungsrechte:

Auch diese sind relativ umfassend. Im Sinne des BetrVG wird der/die „ideale“ ArbeitgeberIn auch immer bereit sein, den BR anzuhören. Insbesondere bei der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen sowie bei der Planung der Arbeitsplätze und bei der Personalplanung kann der BR ggf. seine Co-Managementtalente einbringen und so zur Wertschöpfung beitragen.

Widerspruchsrechte:

Diese betreffen vor allem Kündigungen. Das Widerspruchsrecht hat sogar gewisse Folgen, die auch gegen den Willen der ChefInnen eintreten können. Jedoch wissen wir aus eigener Erfahrung nur allzugut, dass ChefInnen, die eine Arbeitskraft loswerden möchten, dies am Ende auch tatsächlich können. Sei es, dass das Arbeitsgericht in irgendeiner Instanz zu dem Schluss kommt, dass die Kündigung eigentlich nicht rechtens war, aber, u.a. aufgrund der Arbeitsrechtsprozesse, das sogenannte „Vertrauensverhältnis“ zwischen ChefIn und ArbeiterIn so zerrüttet ist, dass eine Weiterbeschäftigung angeblich weder dem einen noch der anderen zumutbar wäre. Hier schließt sich dann direkt das

Zustimmungsverweigerungsrecht an:

Auch hier kann der BR nichts mitbestimmen, sondern nur in besonderen Fällen eine Art „Veto“ einlegen, das aufschiebende Wirkung hat. Dieses Recht bezieht aber nur auf personelle Maßnahmen, die ohnehin gegen gültiges Recht verstoßen würden, wie- „Maßnahme(n), (die) gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde(n)“- „personelle Maßnahme(n), (die) gegen eine Richtlinie nach § 95 verstoßen würde(n)“- „eine nach § 93 erforderliche Ausschreibung im Betrieb, (die) unterblieben ist“oder wenn – „durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass der für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung, stören werde.“- „die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist“- „der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist“

Schließlich bietet das Gesetz auch noch einige angeblich „echte“ Mitbestimmungsrechte:So darf der BR ganz ausdrücklich eigene Vorstellungen und Vorschläge entwickeln und diese ebenso explizit, auch eigeninitiativ, auf die Tagesordnung setzen. Außerdem gibt es bei den „echten“ Mitbestimmungsrechten einen Einigungszwang, d.h. ChefIn und BR müssen so lange verhandeln, bis sie sich einig geworden sind, oder aber auf das Mittel der Einigungsstelle zurückgreifen. Diese trifft am Ende eine verbindliche Entscheidung.

Was darf mitbestimmt werden?

§87 des BetrVG ist der Dreh- und Angelpunkt. Hier sind alle Belange aufgelistet, bei denen der BR die „echte“ Mitbestimmung wahrnehmen kann. Allerdings sind die Mitbestimmungsrechte durch bestehende gesetzliche und tarifliche Regelungen beschränkt. Angelegenheiten, die durch Gesetz oder Tarifvertrag abschließend geregelt sind, sind schlussendlich von der Mitbestimmung ausgeschlossen, auch wenn sie im §87 grundsätzlich als Mitbestimmungsfeld aufgeführt werden.

Dies sind im Einzelnen:
Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten
– alle nicht arbeitsbezogenen Verhaltensanweisungen der ArbeitgeberInnen wie Kleiderordnungen, Rauch- oder Alkoholverbote, Parkplatzordnungen, aber auch die Pflicht, beim Betreten des Betriebes die Zeiterfassung zu bedienen, Krankenrückkehrgespräche zu führen oder sich duzen zu lassen.
– Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage.
– Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit- Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Lohns- Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans- Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der ArbeitnehmerInnen zu überwachen.
– Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz
– Form, Ausgestaltung und Verwaltung von betriebs-/konzerninternen Sozialeinrichtungen
– Zuweisung und Kündigung sowie Nutzungsbedingungen von Wohnräumen
– Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung.
– Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen
– Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit und Mitbestimmung in anderen Angelegenheiten (die in anderen Paragraphen des BetrVG geregelt sind)
– ob die Beschwerde einer Arbeitskraft berechtigt ist oder nicht. (§85)
– menschengerechte Gestaltung der Arbeit (§91)
– hinsichtlich des Inhaltes von Personalfragebögen und der Auswahl von persönlichen Angaben in Formulararbeitsverträgen (§94)
– Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen (§95)
– Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung und Auswahl der TeilnehmerInnen (§98)
– bei Verhandlungen über einen Sozialplan (§112)

 

Außerdem ist der BR bei Betriebsänderungen (Schließung, Verlegung, gravierende Organisationsänderungen) zu beteiligen. Diese Beteiligung bedeutet nicht, dass der BR machtvolle Instrumente hätte, diese zu verhindern. Im Gegenteil, es geht dabei nur um den sogenannten „Interessenausgleich“ und/oder einen Sozialplan.

Der „Interessenausgleich“ ist eine Vereinbarung, mit der faktisch weniger das „ob“ als mehr das „wann“ und das „wie“ der geplanten Maßnahme zwischen ChefIn und BR vereinbart wird. Sollten sich ChefIn und BR nicht einigen, hat der BR keine Mittel, eine Einigung zu erzwingen. Es besteht also lediglich ein Anspruch darauf, das einmal verhandelt zu haben. Der sogenannte „Sozialplan“ regelt im Kern meist die Zahlung von Abfindungen und bei größeren Betrieben oder Konzernen bzw. ihren Tochterunternehmen die Einrichtung von zynisch so genannten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, in die ArbeiterInnen bei oft niedrigeren Löhnen für zumeist ein Jahr abgeschoben werden, bevor sie dann „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“.

Fazit:

Die gesetzlichen Regelungen zur sogenannten betrieblichen Mitbestimmung sind alles andere als Instrumente tatsächlicher Mitbestimmung. Zum einen gibt es ein enges rechtliches Korsett, das im Zweifel das Interesse der ChefInnen an der Wertschöpfung höher einstuft als die Interessen der ArbeiterInnen, in allen wirtschaftlichen Belangen mitzubestimmen. Nicht nur das – Mitbestimmung wird den Händen der ArbeiterInnen juristisch entzogen und entweder nur den Gewerkschaften oder eben den Betriebsräten zuerkannt. Dabei sind die Felder der Mitbestimmung sehr eng definiert und fernab jeder tatsächlichen grundsätzlichen betrieblichen Entscheidung. So dürfen ArbeiterInnen juristisch gesehen nicht mit entscheiden, was, wie, wo, für wen, zu welchen Bedingungen, in welcher Qualität hergestellt wird oder eben nicht.

Gewerkschaftliche „Mitbestimmung“, wie sie im Tarifvertragsgesetz (TVG) vorgesehen ist, ebenso wie die betriebliche Mitbestimmung, wie im BetrVG, verpflichtet schlussendlich die ArbeiterInnen, ihre Interessen durch andere stellvertretend wahrnehmen zu lassen und unabhängig der Streikbereitschaft „Frieden“ zu halten. Die gesetzliche Verpflichtung der BR, den Arbeits- und Betriebsfrieden nicht zu stören, und die Selbstverpflichtung der sozialpartnerschaftlichen Verbände im DGB, jedes autonome Handeln der ArbeiterInnen zu verunmöglichen, führt dazu, dass wir kaum Erfahrungen mit Streiks haben, geschweige denn damit, wie diese möglichst effektiv (das heißt mit möglichst hohem ökonomischen Schaden) in möglichst kurzer Zeit zu organisieren sind.Was wir brauchen, sind ArbeiterInnen, die sich sowohl mit dem BetrVG als auch mit dem TVG auskennen. Nicht, um sich bei jeder Gelegenheit in juristische Schattengefechte hineinziehen zu lassen. Nicht nur, weil sie bei diesen oft einfach nur verlieren würden (schließlich sind die gesetzlichen Regelungen genau so angelegt), sondern auch, weil sie ständig auf JuristInnen zurückgreifen müssten, die für sie vor den Kadi treten würden. Vielmehr geht es darum, zu erkennen, dass die gesetzlichen Regelungen in den entscheidenden Punkten nichts zu bieten haben und dass es stattdessen darauf ankommt, mit der Macht des Faktischen die ChefInnen und im Zweifel auch den ganzen Apparat aus Gesetzgebung, Überwachung und Rechtsprechung in ihre Schranken zu weisen. Davon sind wir natürlich weit entfernt – aber das muss das Ziel sein.

PS: Es versteht sich von selbst, dass das uneingeschränkte Recht eines jeden Arbeiters und einer jeden Arbeiterin auf Streik erkämpft und das Recht der Gewerkschaften, der sozialpartnerschaftlichen Verbände und der Syndikate gegen jeden Angriff verteidigt werden müssen.

 

Vorwort des Redakteurs:


Ich habe die Redaktion (Hintergrund) der Direkten Aktion erst sehr
spät übernommen. Darum blieb mir nicht genug Zeit, diese Ausgabe
vernünftig zu betreuen. Darum bekommt Ihr zum aktuellen Schwerpunkt
„Mitbestimmung“ keinen Artikel aus einem Guss, sondern zwei Beiträge,
die evtl. ein wenig aus dem Rahmen der Direkten Aktion fallen.


Da haben wir zum einen den Artikel vom Arbeitsrechtler Rolf Geffken,
der der Frage „Betriebsräte auf Abwegen?“ nachgeht. Dabei werden
Betriebsräte nicht als solche kritisiert, sondern das, was aus ihnen in
den letzten Jahrzehnten geworden ist. Auf der anderen Seite der Artikel
des Anarchisten Frank Tenkterer, der Betriebsräte im ganzen ablehnt.Eine
explizit anarcho-syndikalistische Position findet Ihr diesmal nicht auf
diesen Seiten. Vielmehr ist es Eure Aufgabe, selbst über Sinn und
Unsinn beider Artikel nachzudenken und vor Ort mit KollegInnen zu
diskutieren. Eure (Zwischen-)Ergebnisse dürft Ihr uns gerne als
Leserbrief an die Redaktionsadresse zukommen lassen.


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