Solidarität mit Kobane, aber wie?

Die anarchistisch orientierten Menschen der Welt haben ein neues Vorbild: Das libertär-kommunalistisch1 organisierte Rojava, wo die YPG/YPJ gegen die IS kämpft. Dass eine ganze Region sich eine libertäre Organisationsform gibt und dann auch noch im Krieg steht, das gab es das letzte Mal vor ziemlich genau 20 Jahren, als der Aufstand der EZLN in Chiapas/Mexiko begann. Keine Frage also: Sowohl die extremislamistische Bedrohung wie auch das emanzipatorische Projekt machen eine Unterstützung unvermeidlich. Aber damit fangen die Probleme erst an.

Solidaritätsdemonstration in Wien am 10. Oktober 2014

Problem 1: Die Mythologisierung

Es gibt zwei basisdemokratische Projekte, mit denen das Projekt in Rojava häufig verglichen wird: Die Spanische Revolution 1936 und der Aufstand der Zapatistas seit 1994. Beide Vergleiche hat insbesondere David Graeber im Guardian bzw. auf Deutsch im Freitag bemüht.2 Dabei ist sicher zu betonen, dass der Aufstand der EZLN3 in der Tat einen ganz direkten Einfluss auf das Projekt von Rojava hat: Seit der demokratischen Wende der PKK beobachten die kurdischen RevolutionärInnen das autonome Gebiet in Chiapas/Mexiko explizit, um von den Zapatistas zu lernen.

Der Vergleich mit der Spanischen Revolution dagegen ist deutlich schwieriger, denn er verleitet zu Kurzschlüssen. Warum Graeber diesen Vergleich anführt, ist offensichtlich: „Wenn es eine Parallele gibt zu Francos oberflächlich frommen, mörderischen Falangisten, wer könnte es anders sein als die ISIS? […] Wird die Welt – und diesmal am skandalösesten von allen, die internationalen Linken – wirklich beteiligt sein an einer Wiederholung der Geschichte?“Das macht im Guardian oder im Freitag auch noch Sinn, denn Graeber wendet sich hier durchaus an die „große Politik“. Die Überstrapazierung dieses Vergleichs verstärkt aber sowohl den Mythos Spanien 1936 als auch die Mythologisierung Rojavas. Die Denkfigur ist ganz einfach: „Wir, als AnarchistInnen, hätten doch auch etwas unternommen in der Spanischen Revolution. Also müssen wir auch etwas unternehmen im Falle Rojavas. Unsere geistigen Väter und Mütter sind schließlich sogar bewaffnet gegen die Faschisten gezogen.“ Diese vergleichende Sichtweise setzt einen selber als engagierten Menschen unter Druck: Auch wenn wir noch gar nicht genau überlegt haben, was man denn tun kann, müssen wir jetzt sofort etwas unternehmen, bevor das „revolutionäre Zeitfenster“ wieder verschwindet. Wenig überraschenderweise sind noch kaum deutsche AnarchistInnen nach Rojava gegangen, um gegen den IS zu kämpfen. Bislang wird lediglich Geld für Waffen gesammelt.Die spanischen Revolutionäre mussten mit den veralteten Handfeuergewehren aus der mexikanischen Revolution und dem wenigen, was das stalinistische Russland zur Verfügung stellte, kämpfen. Dafür gab es sicherlich auch Geld aus der internationalen Community. Aber die Waffen waren damals schon nicht hinreichend, um gegen die hochgerüsteten Regime Hitlers, Mussolinis und Francos anzukommen. Die IS ist wesentlich hochgerüsteter, vor allem durch Saudi-Arabien, aber auch durch die im Irak erbeuteten Waffen US-amerikanischer Herkunft. Die Frage muss also erlaubt sein, ob die Bewaffnung der YPG/YPJ und der PKK überhaupt dazu beitragen kann, die IS zu besiegen (wobei die Nicht-Bewaffnung keine Alternative ist!)Gerade bei einer Überstrapazierung des Vergleichs mit Spanien kommt der Verdacht auf, dass nicht die Solidarität als solche, sondern eine gewisse Revolutionsromantik – der Wunsch, Teil von etwas neuem, Emanzipatorischem zu sein – hinter den Spendenaufrufen von anarchistischer Seite steckt (siehe „Problem 5“ und „Und außerdem“).

Problem 2: Noch eine Mythologisierung – die Frauen

Für deutsche radikale Linke – und bei weitem nicht nur für die! – ist es selbstverständlich eine Freude, das Klischee der friedlichen Weiblichkeit gebrochen zu sehen. Die berechtigte Schadenfreude, dass die Fundamentalisten des IS ausgerechnet von Frauen bekämpft werden, geht bis weit in das bürgerliche Lager.

Im Kontext des überstrapazierten Vergleichs Rojavas mit der Spanischen Revolution werden die kämpfenden Fraueneinheiten gerne mit den Mujeres Libres4 in der Spanischen Revolution verglichen. Das verkennt allerdings, dass die Mujeres Libres im Gegensatz zur YPJ in erster Linie eine Kulturorganisation waren, während die YPJ Frauenkampfeinheiten darstellt. Sicherlich haben auch Mujeres Libres in der Spanischen Revolution gekämpft, allerdings nur sehr eingeschränkt – was insbesondere dem patriarchalen Selbstbild des damaligen Anarchismus geschuldet war. Bewaffnete Frauen in den Uniformen der Milizen waren meist gestellte Propagandabilder. Während die gesamten Mujeres Libres geschätzte 20.000 Mitglieder hatten, von denen nur die wenigsten an Kampfhandlungen teilnahmen, kämpfen in der YPJ Schätzungen zufolge 35.000 bis 40.000 Frauen und machen damit ein Drittel der Truppen der YPG aus.Was folgern wir daraus? Mit Sicherheit ist daraus gar nichts zu folgern, man kann lediglich Vermutungen anstellen. Und diese wäre in erster Linie: Die Situation in Syrien ist wesentlich bedrohlicher als 1936 in Spanien – die Vielzahl der Kämpfenden (und auch der kämpfenden Frauen) ist bestimmt auch Resultat einer Notwendigkeit zu kämpfen. Kämpfende Frauen sollten also nicht als emanzipatorische Besonderheit „gefeiert“ werden, das wäre lediglich die Umkehr des bürgerlichen Frauenbildes. Kämpfende Frauen sollten vielmehr als ebenso normal (oder eben auch: unnormal) betrachtet werden wie kämpfende Männer.

Problem 3: Das schwierige Verhältnis der deutschen Linken zur PKK

Es fällt libertären Linken insbesondere in Deutschland schwer, dem Wandel der PKK zu trauen. Die PKK gilt mindestens als marxistisch-leninistisch, wenn nicht stalinistisch (so auch Graeber in genanntem Beitrag) und außerdem einem Führerkult um Abdullah Öcalan verfallen, der sich mit herrschaftsfreien Konzepten nicht zu vertragen scheint. Dass die Anregung libertärer Konzepte von eben jenem „Führer“ („Serok“) kommt, schafft auch heute noch Misstrauen.

„Führung“ kann jedoch, auch sprachlich, als inhaltliche Autorität, und nicht als autoritäre Führung verstanden werden. Öcalan hat nun mal ein respektables Standing in der kurdischen Community, selbst wenn er dieses (was er gemacht hat!5) ablehnt. Es sollte gerade AnarchistInnen nahe liegen, einen inhaltlichen Vorschlag nicht nur danach zu bewerten, wer ihn gemacht hat. Viele weitere Initiativen sprechen für einen tatsächlichen demokratischen Wandel der PKK: Dazu gehört etwa der internationale Diskussionsprozess, wie er 2012 auf der Hamburger Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern – Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch“ deutlich wurde, an der zahlreiche libertär orientierte AktivistInnen und WissenschaftlerInnen teilnahmen (Toni Negri, Wolf-Dieter Narr, Janet Biehl…) und vor allem eben die Bereitschaft, vom zapatistischen Experiment zu lernen.Aber selbst wenn dem nicht so wäre, selbst wenn die PKK ihren demokratischen Wandel nur „vortäuschen“ würde – die Repression gegen die PKK sowohl in der Türkei wie auch in Europa wird dadurch nicht weniger moralisch verurteilenswert, ebenso wenig wie die Behandlung Öcalans im türkischen Knast.

Problem 4: Waffen woher? Für wen und warum?

Anarchistische Solidarität mit den emanzipatorischen Kräften in Rojava beschränkt sich in Deutschland momentan auf die Teilnahme an Demonstrationen und das Sammeln von Geld für Waffen (allerdings: mir fällt auch nicht viel mehr ein, was man tun könnte). Wie oben erwähnt, die Nicht-Bewaffnung der YPG/YPJ und der PKK ist sicherlich keine Alternative, trotzdem stellt insbesondere diese Form der Solidarität uns vor massive Probleme. Denn es ist ja nicht mit dem Geld getan: Erstens müssen wir uns die Frage stellen, woher die Waffen denn kommen und welche Rüstungskonzerne und/oder mafiöse Strukturen damit „versehentlich“ mitunterstützt werden. Zweitens muss die Qualität dieser Waffen bedacht werden: Es reicht ganz offenbar nicht aus, die emanzipatorischen Kräfte mit den rumpeligen Restbeständen der NVA auszurüsten, um gegen den hochgerüsteten IS anzukommen. Es wären also hochmoderne Waffensysteme nötig und dies ginge nur im Pakt mit dem Teufel – mit dem westlichen Staatensystem und mit der NATO. Diese aber weigert sich hartnäckig, die vermeintlichen „Terroristen“ auszurüsten und vor allem – das gehört dazu – zu schulen. Wie man es dreht und wendet, offenbar ist auch eine personelle, tendenziell militärische Unterstützung, nötig.

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Das ist aber letztlich ein furchtbares Dilemma: Egal ob nun staatlicherseits Waffen geliefert werden und daran geschult wird oder aber ob die nordatlantische Staatengemeinschaft direkt auf Seiten der emanzipatorischen Kräfte interveniert (was ja an sich schon sehr unwahrscheinlich klingt, „emanzipatorisch“ und „NATO“ in einem Satz!), in gewissem Sinne erkennt sie die rätedemokratische Verwaltungsform in Rojava damit an. Das kann nicht im Sinne einzelner Mitglieder der NATO – allen voran der Türkei – sein. Aus der Sicht der bestehenden Nationalstaaten gedacht ist es völlig immanent logisch, dass diese nicht-staatliche Alternative als „Terrorismus“ interpretiert wird. Unverständlich dagegen ist, dass sich die Türkei offenbar von den emanzipatorischen Projekten mehr bedroht fühlt als vom IS, diesem seltsamen semi-staatlichen Phänomen, dass den Staat an seinen Ursprung zurückführt: zu einem Apparat, dessen wesentlicher Zweck es ist, eine kriegerische Gewaltförmigkeit effektiv zu organisieren6 und der im Fall des IS auch keinen anderen Zweck erfüllt.Ferner ist die Region eigentlich mit Waffen überfüllt – es ginge eigentlich darum, diese „umzuverteilen“ und nicht noch mehr Waffen in die Region zu pumpen. Im Gegenteil wäre eine umfassende Entwaffnung nötig – die allerdings auch nicht realistischer ist als die anderen Optionen: Die IS lässt sich nur mit direkter Gewalt entwaffnen, und die wiederum setzt eine effektive Bewaffnung voraus. Und wiederum setzte diese Option einen Willen voraus – vor allem auch einen Willen von Rüstungskonzernen, auf Gewinne zu verzichten. Allein der Gedanke ist absurd.

Problem 5: Was ist mit dem Rest Syriens?

Die Forderung nach einer Bewaffnung der emanzipatorischen Kräfte in der Region ist nicht so eindeutig, wie oft gemeint wird. Die kurdische radikale Linke fordert diese Waffen sehr deutlich ein – viele syrische radikale Linke aber warnen durchaus davor, weil sie argumentieren, dass Waffenlieferungen von außen die selbstverwalteten Projekte in Syrien – es gibt nicht nur Rojava! – gefährden.

Bereits im April 2013 hatte die Spendenkampagne „Adopt a revolution“ – die übrigens, ähnlich wie attac, um ihren Status als „gemeinnützig“ kämpfen muss – die Menschenrechtlerin Hervin Ose, die Journalistin Rula Asad und Alan Hassaf, den Gründer der „Union Freier Syrischer Studierender“, aus Syrien eingeladen. Alle drei berichteten in Heidelberg von den demokratischen Bestrebungen und der Wiederaufbauarbeit der syrischen Bevölkerung, von neuen Räten, die die Versorgung, die Sicherheit, aber auch so etwas wie Kunst in lokalen Rahmen organisieren. Das basisdemokratische Projekt in Syrien geht durchaus nicht nur von KurdInnen aus. Schon 2012 sah sich „Adopt a revolution“ einer Kritik ausgesetzt, die an die jetzige Situation bzgl. Rojava erinnert: Zahlreiche, auch prominente, UnterstützerInnen, hatten ihre Unterstützung entzogen, weil „Adopt a Revolution“ sich nicht eindeutig genug für eine friedliche Lösung ausgesprochen hätte. Eine militärische – sogenannte „humanistische“ – Intervention lehnte und lehnt die Kampagne ab.7 Allerdings hatten MitarbeiterInnen der Kampagne durchaus argumentiert, dass die KämpferInnen gegen das Assad-Regime Waffen bräuchten, um möglichst schnell zu gewinnen. Menschenrechtsarbeit (und Solidarität) sei eben keine „Schönwetterarbeit“ (taz).„Adopt a Revolution“ hat auch aktuell betont, dass der syrische Widerstand – gegen Assad und gegen die IS – mehr ist als das libertär-kommunalistische Projekt von Rojava. Das in der Solidaritätsarbeit nicht zu vergessen, ist auch deswegen wichtig, weil es in unserer Solidarität nicht darum gehen kann, eine „Ethnie“ zu verherrlichen oder auch eine Religion pauschal zu verdammen: Das lowerclassmagazine etwa benennt neben dem Widerstand der Freien Syrischen Armee auch „kleine christliche Milizen“: „Rojava ist eine extrem multikonfessionelle Gesellschaft. Hier leben nicht nur sunnitisch-muslimische Kurd_innen, sondern schiitische, yezidische, christlich-aramäische und orthodoxe Religionsgruppen. Sie alle zu respektieren und zu schützen in diesen Zeiten, in denen die syrische Revolution durch die aggressive Konfessionalisierung seitens des Regimes und des Dschihadismus barbarisiert wurde, ist tatsächlich ein linkes Projekt im beispielhaften Sinne.“8Die Falle Religionisierung und Ethnisierung des Konflikts geht aber noch weiter: Der emanzipatorische Kampf geht längst weit über Rojava hinaus und hat einen Großteil der Türkei erfasst. Wenn die Frage dort „ethnisch“ definiert wird, also eine vermeintliche Differenz zwischen KurdInnen und TürkInnen betont wird, dann wir dies viel Energie aus dem dort begonnenen Aufbruch abziehen. Gleichzeitig muss der emanzipatorische Widerstand auch verdeutlichen, dass es möglich ist, gleichzeitig SunnitIn und gegen die IS zu sein: „In der Türkei […] wird es nun zentral sein, nicht in die Falle des Islamischen Staates zu tappen. Die IS-Milizen und ihre religiösen Führer haben seit Beginn ihrer Existenz versucht, sich nicht als irgendeine spezielle Organisation neben anderen darzustellen, sondern […] sich als für jeden gläubigen Sunniten und jede gläubige Sunnitin verbindliche Instanz zu verkaufen. Der IS sagt im Grunde […]: Wenn du muslimischen Glaubens bist, dann sind wir deine Avantgarde. Jeder der die Hegemonie des IS nicht anerkennt, wird automatisch zum Kufr, zum Ungläubigen. Obwohl es keine belastbaren Zahlen gibt, kann man sagen, dass etwa drei Viertel (oder mehr) der türkischen Bevölkerung sunnitische Muslime sind. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn die den Eindruck bekommen, gegen sie werde ein ‚Krieg der Kulturen’ geführt wird […].9

Was bedeutet denn eigentlich „Solidarität“? Eine Erinnerung.

Die Kritik an Ethnisierung, Religionisierung und Idealisierung des Widerstands in Rojava weist darauf hin, was Solidarität im Wortsinn eigentlich ist: Solidarität bedeutete in der klassischen Arbeiterbewegung keineswegs, dass man Projekte, Bewegungen oder Volksgruppen unterstützt, weil sie die gleiche Gesinnung haben, Solidarität bedeutete und bedeutet – so steht es in jedem soziologischen Lexikon – die gegenseitige Unterstützung aus der Erkenntnis einer gemeinsamen Situation, Erfahrung oder Bedrohung. Alles andere ist keine Solidarität, sondern eher Benefiz-Handeln, wie man es auch von der katholischen Kirche kennt. Selbstverständlich erleichtert die gemeinsame Gesinnung den Solidaritätsgedanken, denn trotz der Geburt der Solidarität aus dem Erfahrungsaustausch wird man sich nicht mit einer vollkommen konträren Position solidarisieren.Das heißt, Bedingung unserer Solidarität sollte nicht allein das emanzipatorische Projekt einer geschlechtergerechten, ökologischen Rätedemokratie sein, sondern schlicht die Situation der multiethnischen und multireligiösen Bevölkerung in der Region. Die solidarische Erkenntnis dabei ist schlicht, dass Extremislamismus der Marke IS und autoritäre Staatsmodelle Marke Erdogan oder Assad letztlich auch uns bedrohen und der dortige Widerstand tatsächlich auch unser Kampf ist.

Dabei sollte Solidarität immer kritische Solidarität sein, das ist schon daraus abzuleiten, dass sie eben keine Gesinnungsfrage ist – folglich müssen aber kritisch immer die Positionen und Meinungen geprüft werden, ohne deshalb abzuverlangen, dass sie miteinander identisch sein müssten. „Kritische Solidarität“ heißt im aktuellen Fall aber nicht, eine Kritik an dem Kampf in Rojava, in ganz Syrien, in der Türkei und den benachbarten Staaten zu formulieren. Kritische Solidarität muss in diesem Fall heißen, die eigene Solidarität kritisch zu betrachten: Wieviel dieser Solidarität ist tatsächlich die Unterstützung des Kampfes der syrischen, kurdischen und türkischen GenossInnen und wieviel ist schlicht wenig hilfreicher Effekt von Projektionen, dem Wunsch, selber revolutionär tätig zu werden und der Schaffung eines guten Gewissens?Strategien für den Erhalt des Experiments und die radikale Zerschlagung des IS müssen ganz offenbar weit über das Militärische hinausgehen. Wir brauchen eine militante Zermürbungsstrategie, die Gesellschaftlichkeit und Guerilla-Strategien miteinander vereint. Es gibt in diesem Fall keine Möglichkeit, idealistisch „richtig“ zu handeln, ohne militärischen Aspekt kommen wir hier offenbar nicht weiter – aber der Kampf gegen die IS ist nicht allein militärisch zu gewinnen.

Was tun?

Dieser Beitrag ist nicht entstanden, um irgendeine Handlungsempfehlung zu geben – es ist ihm vielleicht anzumerken, dass er eher eine Reflexion der eigenen, nicht unbedingt beantworteten Fragen zu dem Themenkomplex ist. Dennoch muss man sich fragen: Was können wir tun?

Die Zahl der Solidaritätserklärungen und Spendenkampagnen wird mehr. JedeR muss sicherlich für sich selber entscheiden, ob es sein oder ihr Ding ist, eher Geld für Waffen zu spenden oder für Lebensmittel und Decken oder ob das Geld via „Adopt a Revolution“ an konkrete Projekte gehen soll.Wesentlicher scheint mir jedoch zu sein, ganz direkte Solidarität vor Ort zu üben: Syrische und kurdische Flüchtlinge brauchen sehr konkret auch hier Unterstützung. Und die Meldungen über fundamentalistische Übergriffe werden auch hierzulande stärker. Es ist schwer, sich da zu positionieren, denn man sieht sich plötzlich in einer Reihe mit Hooligans und Neonazis. Es ist daher angebracht, Proteste gegen Salafismus und Fundamentalismus in Kooperation mit Moscheen und islamischen Organisationen zu organisieren – eben auch, um der Religionisierung des Konflikts entgegenzuwirken. Es geht nicht um Glauben, es geht um die Einschränkung von Grund- und Menschenrechten und damit um die Gefährdung erlangter Freiheiten.Dementsprechend ist es für eine emanzipatorische Perspektive auch unausweichlich, die verschiedenen globalen Probleme zusammen zu thematisieren: Den regressiven Angriff des Extremislamismus, die Abschottungspolitik Europas und insbesondere Deutschlands, den tatsächlich nach wie vor real existierenden Imperialismus gerade auch (wenn auch nicht nur) der USA, die Folgen der Wirtschaftskrise und die basisdemokratischen Proteste, die durchaus in einem Zusammenhang mit dem Projekt von Rojava stehen und ähnliche Inspirationen haben.Insgesamt ist, mit kurdischen, syrischen und durchaus auch religiösen Linken ein Dialog und eine Kommunikation, ein Erfahrungsaustausch im Alltag und hierzulande notwendig. Nicht nur, um den realen IS und seine Gedankenwelt zurückzuschlagen, sondern auch um das emanzipatorische Projekt, für das Rojava aktuell steht, auszuweiten.

Quellen:

[1] www.anarchismus.at/texte-anarchismus/libertaerer-kommunalismus

[2] Eine deutsche Übersetzung findet sich online unter www.kurdischenachrichten.com/2014/10/warum-ignoriert-die-welt-die-revolutionaeren-kurden-in-syrien/

[3] Kerkeling, Luz La lucha sigue! [Der Kampf geht weiter!] EZLN – Ursachen und Entwicklungen des zapatistischen Aufstandes. Unrast, Münster, 2003

[4] Bianchi, VeraFeministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Münster, 2003

[5] „Ich möchte gleich zu Beginn betonen, dass ich mich nicht als verantwortliche Partei für die Umsetzung meines eigenen Plans sehe.“ Betont Abdullah Öcalan in seiner „Roadmap“.

[6] Das Konzept Staat ist aus dem Krieg geboren. Siehe: Krippendorff, Ekkehart Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft. Frankfurt a.M., 1985

[7] www.adoptrevolution.org/hintergrund/zur-frage-sog-humanitarer-intervention/

[8] www.lowerclassmag.com/2014/08/rojava-ist-eine-wirkliche-chance/

[9] www.lowerclassmag.com/2014/10/der-kommende-aufstand/

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