»Ich hab den Krieg verhindern wollen.«

Auf welche Traditionen sollen sich die Lohnabhängigen, Ausgebeuteten und einfachen Leute hierzulande in Bezug auf die Zeit der Naziherrschaft positiv beziehen?

Die bis heute von offizieller Seite gefeierten Widerstandsgruppen aus dem Militär (20. Juli 1944) und der bürgerlichen Studierendenschaft (Weiße Rose) wurden erst aktiv, als sich die Niederlage im Weltkrieg bereits abzuzeichnen begann. Insbesondere das alljährliche Abfeiern des militärischen Widerstandes seitens der staatlichen Behörden und des Politikbetriebs in der Hauptstadt lässt tief blicken. Wer sich das Programm der Verschwörer des 20. Juli einmal genau durchliest, der oder die kann feststellen, dass die Wehrmachtsangehörigen Hitler beseitigen und eine erzreaktionäre Militärdiktatur errichten wollten. In dieser Tradition sieht sich also die politische Elite der BRD…Da kann es kaum verwundern, dass die illegalen Tätigkeiten der verschiedenen sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Gruppen sowie des Arbeiterwiderstandes in den Betrieben, die praktisch vom ersten Tag der Naziherrschaft an aufgenommen wurden, nicht in das von den Mächtigen gepflegte antikommunistische Bild passen. In der offiziellen Erinnerungskultur der kapitalistisch-bürgerlichen BRD, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg erklärtermaßen als Nachfolgestaat Nazideutschlands betrachtete, spiegelte sich ein ungebrochenes Bekenntnis zu den traditionellen deutschen Tugenden. Zudem widerspricht der antifaschistische Kampf der linken Gruppen und der antinazistischen ArbeiterInnen den Ausreden vieler Deutscher nach der Niederlage, Widerstand sei nicht möglich gewesen.Der lange kolportierten Meinung über die angeblich fehlenden Widerstandsmöglichkeiten in Nazideutschland eindrucksvoll entgegengesetzt ist das Attentat auf Hitler am 8. November 1939. An diesem Abend explodierte eine von dem Schreiner Georg Elser in einer Säule des Bürgerbräukellers1 in München versteckte Bombe. Bei der Gedenkveranstaltung für die »alten Kämpfer« des 1923 versuchten Naziputsches war neben viel NS-Prominenz und 1500 begeisterten AnhängerInnen auch Hitler selbst anwesend. Die Bombe detonierte exakt zu der von Elser vorgesehenen Zeit um 21:20 Uhr. Das Attentat misslang jedoch, da Hitler wegen schlechten Wetters nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Reichsbahn zurück nach Berlin fahren musste. Er redete deshalb viel kürzer als sonst und verließ den Saal 13 Minuten vor der Explosion des Sprengsatzes. Dieser verwüstete den Saal, tötete acht und verletzte 63 Besucher, davon 16 schwer. Unter den Toten waren sieben Mitglieder der NSDAP.

Jedes Herz ist eine antinazistische Zelle

Einer der Gründe, warum das Attentat des damals 36jährigen Georg Elser bis heute so wenig beachtet wird, liegt in seiner Einzeltäterschaft. Ein einfacher, sozialistischer Arbeiter aus dem württembergischen Königsbronn nahm extra eine schwere Arbeit in einem Steinbruch an, um über Monate hinweg kleine Mengen Sprengstoff abzuzweigen. Im Sommer 1939 zog dieser Antifaschist nach München und mietete in der Stadt eine kleine Werkstatt an. Den Nachbarn gegenüber gab er sich als Erfinder aus und konnte so unauffällig die Bombe und einen Zeitzünder herstellen. Ab Ende August 1939 suchte Elser den Bürgerbräukeller jeden Abend auf, nahm dort zunächst eine einfache Arbeitermahlzeit für 60 Pfennig zu sich und wartete eine günstige Gelegenheit ab, um sich unbemerkt in der Besenkammer verstecken zu können. Dort verharrte er noch mehrere Stunden, bis das Gasthaus abgeschlossen wurde. Insgesamt 30 Nächte lang höhlte er dann in mühevoller, riskanter Kleinarbeit einen Pfeiler aus, um die Bombe darin zu deponieren. Die anfallenden Späne versteckte er in einem zusammengerollten Teppich.Elser stützte sich bei dem Attentat auf keine Widerstandsgruppe und folgte nur seiner antifaschistischen und antimilitaristischen Überzeugung. Diese Tatsache lässt die weitverbreitete Einstellung des: »man konnte ja nichts tun« durchaus in einem anderen Licht erscheinen. Georg Elser flüchtete nach dem Scharfstellen des Zeitzünders in einem Zug in die Schweiz, wurde jedoch von Grenzbeamten noch vor der der Explosion der Bombe durch einen unglücklichen Zufall festgehalten. Als die Grenzpolizei unter seinem Jackenaufschlag ein Abzeichen des Roten

Frontkämpferbundes (RFB – militanter Selbstschutzverband der KPD) entdeckte, überstellte sie ihn an die Gestapo. Nun verrieten ihn seine wunden, eitrigen Knie, die er sich bei den nächtlichen Arbeiten im Bürgerbräukeller zugezogen hatte. Nach Verhören und Folter verschleppten ihn die Nazis in das KZ Sachsenhausen und überführten ihn später in das KZ Dachau. Die Nazis planten zu einem späteren Zeitpunkt einen großen Schauprozess gegen den Führerattentäter Elser.

Falsche Freunde und echte Gründe

Als eine der ersten internationalen Reaktionen drückte die Sowjetregierung (!) zwei Tage nach der Tat dem deutschen Botschafter Friedrich-Werner von der Schulenburg »ihr Bedauern und ihre Entrüstung über den ruchlosen Anschlag von München, ihre Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr und ihr Beileid für die Opfer des Attentats« aus. Sofort nach dem Attentat begannen die üblichen Spekulationen über Motive und angebliche Auftraggeber des Attentäters. Ähnlich wie schon beim sogenannten Reichstagsbrand im Februar 1933 – den der niederländische Wanderarbeiter und Rätekommunist Marinus van der Lubbe als verzweifeltes Fanal an das (untätige) deutsche Proletariat alleinverantwortlich ausgeführt hatte – beteiligten sich an der Verschleierungstaktik nicht nur die offizielle NS-Propaganda sondern auch die westlichen Geheimdienste sowie die kommunistischen ParteifunktionärInnen.

Neben den Zeugenaussagen von Elsers Verwandten und FreundInnen finden wir in den Verhörprotokollen der Gestapo vom November 1939 die Motive dieses proletarischen Antifaschisten, die ihn zum Attentat auf die Spitzenleute des NS-Regime bewegt hatten. Zunächst waren es die verschlechterten Lebensbedingungen seit der Machtübertragung der bürgerlichen Eliten an die Nazis im Januar 1933:»So z. B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. […] Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahr 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfennigen bezahlt. […] Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will; er ist heute durch die HJ2 nicht mehr Herr seiner Kinder.«Später kamen neben den klassenkämpferischen Argumenten noch Anti-Kriegs-Motive hinzu:»Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ‚Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser 3 Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, ‚die kein fremdes Land einbeziehen wollen‘ und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.«Seinen antifaschistischen und antimilitaristischen Überlegungen ließ Georg Elser auch Taten folgen. Dafür verbrachte er fünfeinhalb Jahre im KZ. Kurz vor der Befreiung durch die US-Armee wurde er am 9. April 1945 im KZ Dachau von der SS durch Genickschuss hingerichtet.

Nichts wird vergessen…

Eine gefühlte Ewigkeit lang wurde Georg Elser nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Widerstandskämpfer totgeschwiegen. Erst ab den 1990er Jahren gab es endlich ein gewisses Umdenken. 70 Jahre nach dem Attentat sind 36 Straßen und Plätze in Deutschland nach Elser benannt. In München – am Ort seines Fanals – erinnerten die im Sommer 2008 abgerissenen Georg-Elser-Hallen in der Rosenheimer Straße 134 eine Zeit lang an diesen Antifaschisten. Und seit 1997 trägt ein kleiner und unscheinbarer Platz an der Türkenstraße 68 den Namen des Attentäters.

Immerhin gab die Deutsche Post anlässlich seines 100. Geburtstags im Januar 2003 eine Sondermarke mit seinem Konterfei heraus.

[1] Der Bürgerbräukeller in der Rosenheimer Straße existiert heute nicht mehr. An diesem Ort steht nun das snobistische Kulturzentrum Gasteig.

[2] Hitlerjugend. Nachwuchsverband der NSDAP. Ab 1933 der einzige noch zugelassene Jugendverband.

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