Adolescents

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Adolescents, also Heranwachsende, das sind Tony Brandenburg alias Tony Cadena, Tony Montana, Tony Adolescent, Tony Reflex (Gesang) und Steve Soto (Bass), die letzten beiden verbliebenen Gründungsmitglieder der kalifornischen Punkband, schon lange nicht mehr. Mehr als 30 Jahre Punkrock haben die beiden schon auf dem Buckel. Ihr knallblaues selbstbetiteltes Album von 1981 inspirierte bis heute zahlreiche Bands weltweit, kein Abend in einer gepflegten Punkrock-Kneipe vergeht, ohne dass die Songs „Amoeba“ und „Kids Of The Black Hole“ gespielt werden. Ihr ehemaliger Mitmusiker Rikk Agnew, der damals letzteren Song schrieb, arbeitet mittlerweile mit Gitane Demone zusammen, die durch Christian Death bekannt wurde, eine Band, bei der Rikk Agnew ebenfalls vor langer Zeit dabei war. Mit ihr punktet er gerade bei Altpunks mit Coverversionen von Songs der Screamers und X. Das nach wie vor dichte kalifornische Bandgeflecht ist kein Geheimnis. Davon handelt schließlich auch schon der erwähnte Song „Kids Of The Black Hole“ über die Bleibe von Social Distortion-Sänger Mike Ness in Fullerton, CA, die Anlaufpunkt, Schlaf- und Partyplatz von wohnungslosen Jugendlichen Anfang der 80er war. Zu Rikk Agnew hätten sie keinen Kontakt mehr, sagt Tony Reflex, ohne näher darauf einzugehen. Er bleibt auch weiterhin recht wortkarg, es ist ihm anzumerken, dass er keine Lust auf Interviews hat. Aber solange Adolescents so gute Platten wie „La Vendetta“ veröffentlichen, bei denen nicht nur die Musik, sondern auch die Texte stimmig sind, und solange sie so gute Konzerte spielen wie bei der Tour im August, sei ihnen dies verziehen. Zumal Tony Brandenburg in seinem Blog ausführlich von seinen politischen und seinen musikalischen Aktivitäten erzählt.

theebrandenburgs.blogspot.deDort ist auch die Hintergrundgeschichte zum Cover des neuen Albums „La Vendetta“ zu lesen. Der ins Deutsche übersetzte Text erschien im Ox Fanzine Nr. 115 (August 2014) und kann nicht oft genug verbreitet werden.„Die Polizisten wurden angeklagt und sind mit einem Mord davongekommen“, kommentiert Tony lakonisch zum Abschluss.

Die Geschichte von Kelly Thomas:

Die Zeichnung auf dem Cover des neuen Adolescents-Albums „La Vendetta … È Un Piatto Che Va Servito Freddo“ zeigt einen Obdachlosen, der im Begriff steht, auf eine Piñata in Form des Kopfes eines Polizisten einzuschlagen, während ihm andere Obdachlose dabei zujubeln. Das Albumcover hat in Orange County und speziell in der Stadt Fullerton, wo die Mitglieder der Adolescents herstammen, für Missbilligung gesorgt.

Das Fullerton Police Department (FPD) wurde nämlich auf das Artwork aufmerksam und nahm dies zum Anlass, die Band und die Fans näher unter die Lupe zu nehmen, etwa auf Facebook. Im Mai 2014 tauchten während einer von uns in Pasadena organisierten Demonstration für autistische und behinderte Schüler plötzlich sechs FPD-Beamte auf – wohlgemerkt sechzig Kilometer außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches. Sie verhörten meine Frau und nahmen Anaheim James während der Demonstration fest. James setzt sich schon seit längerem für die Rechte von Obdachlosen ein und bezichtigt das FPD im Fall von Kelly Thomas des Totschlags.

Der Hintergrund:

Am 5. Juli 2011 wurde der unter Schizophrenie leidende Obdachlose Kelly Thomas von sechs FPD-Beamten auf der Straße angehalten und von dreien von ihnen brutal zusammengeschlagen. Vorher zog sich der Polizeibeamte Manuel Ramos noch Gummihandschuhe über und meinte zu Kelly: „Siehst du diese Fäuste? Mit denen wirst du jetzt Bekanntschaft machen.“ Kelly wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah. Als die Beamten fortfuhren, ihn mit Schlägen und Elektroschocks zu traktieren, bettelte Kelly schluchzend um Gnade und rief nach seinem Vater. Fünf Tage später starb er an den Folgen der Misshandlungen.

In den darauffolgenden Monaten gab es zahlreiche Proteste der Einwohner in Fullerton, die sich mit den Bürgern von Orange County, Los Angeles und San Diego zusammenschlossen, um Druck auf den Stadtrat von Fullerton und das FPD auszuüben. Eine Gruppierung namens „Kelly’s Army“, angeführt von Kellys Vater Ron Thomas, ebenso wie die Occupy-Bewegung und Anonymous forderten ebenfalls die Entlassung aller Personen, die direkt oder indirekt verantwortlich für diesen Mord und seine Vertuschung waren. Diese Gruppierungen setzten sich auch darüber hinaus für Obdachlose ein und forderten politische Richtlinien im Umgang mit Obdachlosen und psychisch Kranken.Am 13. Januar 2014 wurde Manuel Ramos vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung im Zusammenhang mit dem Tod von Kelly Thomas freigesprochen, ebenso wie sein Kollege Jay Cicinelli. Daraufhin gab es unmittelbar Demonstrationen in Fullerton, Santa Ana bis hinauf nach Hollywood. Eine dieser Demonstrationen war der Grund für die Festnahme von Anaheim James in Pasadena vier Monate später.Die Adolescents setzen sich dafür ein, dass im Mordfall Kelly Thomas der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Wir solidarisieren uns mit seinem Vater Ron Thomas, mit Kelly’s Army und all den anderen Gruppen, die sich für Entrechtete und Behinderte in den USA einsetzen. Wir erwarten von der US-Regierung, dass sie die Ermordung von unbescholtenen Bürgern durch Polizeikräfte als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuft. Der Albumtitel „La Vendetta …È Un Piatto Che Va Servito Freddo“ ist eine italienische Redewendung, die übersetzt bedeutet „Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird“, und stellt einen Aufruf dar, aktiv zu werden im Kampf für Gerechtigkeit. Wir wollen all die ähnlich wie wir schockierten und empörten Menschen daran erinnern, dass eine kühle und beherrschte Reaktion auf diese Justizfarce mehr bewirken kann als irgendwelche Krawalle.Wenn die Strafverfolgungsbehörden dem Schutz der Allgemeinheit dienen sollen, müssen sie sich keine Sorgen wegen des Covers eines Adolescents-Albums machen, auf dem ein Obdachloser zu sehen ist, der in symbolischer Weise auf einen Mörder einschlägt. Worüber man sich empören muss, ist, wenn hilfsbedürftige und behinderte Menschen fast totgeschlagen werden.In den vergangenen Monaten haben Mitglieder von Anonymous die Identitäten dieser Mörder öffentlich gemacht. Das hatte zur Folge, dass manche Leute behaupteten, Anonymous hätte dabei die Grenzen von Moral und Ethik überschritten. Aber die amerikanische Öffentlichkeit übt auch weiterhin Druck auf die Mörder wegen ihrer unverzeihlichen Verbrechen aus. Und ich persönlich betrachte dieses Handeln als ähnlich heroisch wie das eines Simon Wiesenthal, dem ich mit derselben Hochachtung begegne.

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