Wer nach unten tritt

Es war eines dieser gruseligen Beispiele von üblen Zuständen gleich um die Ecke: Am 24. Oktober des vergangenen Jahres titelte die Thüringer Allgemeine: „Selbsternannte Bürgerwehr jagt rumänische Arbeiter in Hildburghausen“.

Das sind nicht nur Vorkommnisse in Südspanien, wie in der vorletzten DA-Ausgabe beschrieben, auch keine verschwommenen Bilder von Anfang der 1990er. Und es war bevor PEGIDA so richtig loslegte ihre üble Hetzstimmung in Dresden zu verbreiten. Bei Facebook wurde schon Wochen zuvor gegen herbeihalluzinierte übermäßige Kriminalität in der südthüringischen Provinz gewettert, welche gleich nach dem Übergriff von der Polizei statistisch entkräftet wurde.

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Eines Nachts lauerten einige Mitglieder der Selbstjustiz-Community Arbeitern aus Südosteuropa auf, die auf Einlass vor dem Betriebstor warteten. Eine Jagd mit mehreren Unfällen entwickelte sich, bis ein Streifenwagen den Verfolgern Einhalt gebot. Es ist kein Zufall, dass sich so etwas hier ereignete. Seit Jahren treibt die NPD-Abspaltung Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH) dort ihr Unwesen. Neben der Kommunalpolitik faschisieren die Nazis die Provinz und sind mittlerweile in Thüringen sowie Franken vernetzt. Die demonstrierenden Auswüchse machen sich nun in der nahe gelegenen ehemaligen Bezirkshauptstadt Suhl Anfang 2015 Montag für Montag bemerkbar. SÜGIDA – also die Südthüringer Variante vom großen Vorbild in Sachsen – macht sich Montag für Montag auf die Socken. Suhl ist neben Dresden einer der wenigen Orte, wo die Islamgegnerschaft in der Überzahl zur bunten Gegendemo ist. Das BZH nutzt die Flüchtlingsunterkunft in der etwas größeren Nachbarstadt als Projektionsfläche, um sich mit ihrem plumpen Rassismus zu profilieren. Jede Woche ein martialischer Anblick – die mobilisierte NS-Szene aus Franken und Thüringen.

Vom preußischen Subjekt

Gleich bei der ersten Demo in Suhl berichtete der Lokalsender Rennsteig TV und befragte einige der mitlaufenden Demonstranten. Die outeten sich als eher bürgerliche Unzufriedene, im Gegensatz zum Nazikern. Jene Selbständigen mit sozialen Abstiegsängsten, welche jahrelang Solidargemeinschaften gemieden und denen jetzt die private Krankenversicherung zu teuer wird, haben nun ihre Bühne gefunden. Die Mittelschicht in ihrer verrohten Form besitzt keine Empathie mehr gegenüber den Schwachen der Gesellschaft, sondern übt sich im Schulterschluss mit brutalen Nazi-Trupps. Auch zum OrganisatorInnenkreis um PEGIDA in Dresden gehören neben organisierten Nazis Selbständige, gebildete Menschen mittleren Alters, Rocker und Hooligans. Die klassischen Schichten des Kleinbürgertums in ihrem verklemmten sowie spießigen Habitus, analysiert Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen das Spektrum. Dass auch dies sich in der Ex-DDR so entwickelt, sollte nicht wundern, denn der real existierende Sozialismus konservierte das Klima des preußischen Obrigkeitsstaates. Zwar verteufeln die meisten der GIDA-Wirren die moderate Politik der jetzigen Bundesregierung, verehren dafür aber umso mehr Putins Russische Föderation, welche für ihre antiliberalen Wunschträume steht.

Das Wie der Gegenrede

Der typische PEGIDA-Gegner ist weltoffen sowie grün und gibt auf Fragen zu Migration vor allen Dingen politische Antworten. Stets betonend wie gut doch die meisten Flüchtlinge sich integrieren, demografische Defizite sowie den Fachkräftemangel kompensieren und wie gut sie sich verwerten lassen. Ein humanistischer Standpunkt kann sich allerdings nicht nur an ökonomischen Aspekten orientieren und sich nicht nur die Rosinen rauspicken, egal welcher Sozialisation und unabhängig von Qualifikation. Auch die soziale Schieflage darf nicht außer Acht gelassen werden, sonst wird Unverständnis aus der Bevölkerung weiterhin die Ernte sein. Wenn ein linker Ministerpräsident sich offen für die Rente mit 70 zeigt, welche ja eigentlich schon möglich ist, eine grüne Kandidatin bei einer Bundestagswahldiskussion sich hinstellt und meint, sie könne sich auch vorstellen bis 70 zu arbeiten, dann dürfen sich solche politischen AkteurInnen nicht wundern, wenn der Sozialneid aufkocht bei nötigen Verbesserungen in der Flüchtlingspolitik wie etwa dem Winterabschiebestopp und der Lockerung des Arbeitsverbotes für Asylsuchende. Solange der Armutsbericht – same procedure as every year – die größer wertende Kluft zwischen Arm und Reich bestätigt und keine strukturellen Gegenmaßnahmen angegangen werden, wird eine verrohende Stimmung genährt, die konservative und nationalistische DemagogInnen für ihre Interessen kalt ausnutzen.

 

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