Kolumne Durruti

Bild-zur-Kolumne.JPGEin Vormittag in der Unterwelt

Der Zugang zur Grundsicherung für Arbeitssuchende setzt einen bangen Gang zum sog. Jobcenter voraus, welches mit Sanktionen drohend zur Eingliederungsvereinbarung nötigend verpflichtet. Einmal als arbeitssuchend geführt beginnt ein heilloses Bombardement mit unsäglichen Vermittlungsvorschlägen. Und so kann es passieren, dass man im Vermittlungsvorschlägestrudel die Orientierung verliert oder schlimmer noch: ein Bewerbertag bei Amazon! Also ließ ich mich nötigen, ein viel zu umfangreiches Profil auf amazon.force.com zu erstellen, um mich für einen Bewerbertag anzumelden. Ein Ausweg schien mir unauffindbar zu sein.

Ich betätigte die Klingel, begleitet von einer Kamera, an der ich durch meine Sonnenbrille vorbeischaute. Jemand öffnete und führte mich ins Innere. An der Anmeldung stattete mich eine beängstigend lächelnde Dame mit einer Laufkarte aus. Verschiedene Stationen sollen durchlaufen werden, was nach deren Absolvieren mit einem Häkchen im vorgesehenen Kasten dokumentiert wird. Die Dame setzte ein erstes Häkchen, lächelte gecoacht und führte mich zur nächsten Station. Auf dem Weg dorthin wurde ich erschlagen von vergiftenden Werbebannern und Amazon-Logos. Das Lächeln auf den Paketen sind wir! Die schleimige Übergriffigkeit ließ Übelkeit aufsteigen. Menschen, den grauen Herren gleich, liefen geschäftig und gehetzt durch die kalten Räume mit beklemmenden Fluchten, begleitet vom schrillen Aufschrei der Pausenklingel. An einem von vielen durch peinliche Wände voneinander abgetrennten Schreibtischen wartete bereits die nächste ebenfalls gecoacht lächelnde Dame auf mich, um meine Personalausweisnummer zu notieren und nachzusehen, ob das Ausweisfoto vor ihr ich sein könnte. Mit dem zweiten Häkchen in Aussicht ließ ich mich ein. Sie erfragte persönliche Daten, setzte das Häkchen und zeigte plötzlich auf eine Nische im Raum, wo mir ein sich zweifellos unwohl fühlender Herr vor gestapelten Kisten mechanisch zunickte.Er bat mich, sichtlich irritiert durch täglich abermals erlebte Absurdität, einen Hebetest zu absolvieren. Ohne meinen Einwand abzuwarten machte er mir dynamisch vor, wie man die Kisten, bestückt mit vom Kunden bequem von zu Hause bestelltem Unsinn, ordnungsgemäß hebt und stapelt, ohne dabei seinen Körper zu ruinieren. Noch bevor mich Abscheu und Scham wirklich lähmen konnten, habe ich die letzte Kiste auf den Stapel gestellt. Ausgestattet mit einem neuen Häkchen und voller Ekel schaute ich den Amazon-Imagefilm. Meine Augen klebten am Bildschirm wie an einem Unfall. Gleichgeschaltet Artikel scannende Figuren zeigten erzwungen stolz die großen Lagerräume und logen mit jedem Wort in die verlogene Kamera. An der letzten Station empfing man mich, um über Motivation zu reden. Was man mitbringen müsste, um ein Teil der Amazonfamilie werden zu können, fragte man mich, nachdem ich die Frage, ob ich 15-20 kg pausenlos ohne Probleme heben könnte, aus Angst um mein finales Häkchen bejahte. Ich wurde ehrlich. Man müsse vor allem in der Lage sein, Gehirnwäsche und erzwungene Taubheit auszuhalten, sagte ich und erntete den persönlichsten Blick des Tages. Die letzte Frage nach meiner Bereitschaft zu Überstunden und Schichtwechsel verneinte ich. Das Häkchen wurde trotzdem gesetzt. Ich entledigte mich meiner lächerlichen Laufkarte und trat endlich ins Freie.

 

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