Neuwahlen nach Griechenlands Unterwerfung

Nach über 24-stündiger Debatte stimmte das griechische Parlament in den frühen Morgenstunden des 14. August 2015 der Unterwerfung des Landes unter das Diktat der Gläubiger zu. Mit 222 Ja-Stimmen, 64 Nein-Stimmen, elf Enthaltungen und drei Abwesenden wurde das dritte Sparmemorandum mit großer Mehrheit angenommen. In Athen hatten erneut Tausende gegen die Maßnahmen demonstriert. Für 86 Milliarden Euro, die zu mehr als 90% in die Schuldentilgung fließen – also sofort an die Geldgeber zurücküberwiesen werden – wird die griechische Bevölkerung weiter ausgepresst. Es geht um die Privatisierung lukrativer Staatsbetriebe, um erneute Rentenkürzungen, die weitere Zerschlagung von Arbeitsrechten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 13 auf 23% auch für Grundnahrungsmittel, um die schrittweise Abschaffung von steuerbegünstigtem Agrardiesel, was weitere Bauernfamilien in den Ruin treiben wird und die Beibehaltung der ungerechten Sondersteuer Enfia auf Hausbesitz. Darüber hinaus wird Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro an einen Treuhandfonds unter Verwaltung der Gläubiger übertragen und zu Schnäppchenpreisen verschleudert. Alle „haushaltsrelevanten Gesetzesvorhaben“ müssen vorab von der Troika genehmigt werden. Früher wurden solche Staaten als Kolonien bezeichnet.

Beide ehemaligen Regierungsparteien Néa Dimokratía und Pasok sowie To Potámi stimmten für die Vereinbarung, die stalinistische KKE und die Nazis von Chrysí Avgí stimmten dagegen. In der eigenen Partei musste Ministerpräsident Aléxis Tsípras erneut Verluste hinnehmen. 32 Syriza-Abgeordnete votierten mit Nein, elf enthielten sich, einer fehlte. Bei nur 118 Ja-Stimmen von 162 eigenen Abgeordneten verfehlte die Querfront-Koalition aus Syriza und Anel (Unabhängige Griechen) deutlich eine eigene Mehrheit.

Neuwahlen am 20. September

Als Konsequenz des geringer werdenden Rückhalts in der Partei trat Tsípras mit seiner Regierung am 20. August zurück, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Der wahrscheinliche Wahltermin ist der 20. September 2015. Bei den Wahlen strebt Tsípras ein „starkes Regierungsmandat“ an. Jetzt, wo das „milliardenschwere Hilfspaket“ unter Dach und Fach sei, wolle er gestärkt mit den Gläubigern über eine „Umstrukturierung der Schulden“ verhandeln.

Seit dem Anfang der Sparmaßnahmen im März 2010 regt sich kontinuierlich Widerstand

Am 21. August spalteten sich 25 Abgeordnete des linken Syriza-Flügels von der Partei ab und gründeten eine eigene Parlamentsgruppe. Chef der Gruppierung ist der entlassene Minister für wirtschaftlichen Wiederaufbau, Umwelt und Energie und Sprecher der Linken Plattform Syrizas, Panagiótis Lafazánis. Der Name der neuen Fraktion und drittstärksten Kraft im Parlament ist Laikí Enótita (Laé – Volkseinheit). Die nun gemeinsam mit verschiedenen Organisationen der außerparlamentarischen Linken geplante Gründung der Partei Laé soll gleichzeitig der Start einer „breiten Bewegung gegen das neue Memorandum, die Austerität und die Bevormundung des Landes“ sein.Die Wahlen am 20. September stellen den vorläufigen Endpunkt der dramatischen Ereignisse der letzten Monate dar. Abbruch der Verhandlungen nach Schäubles Ultimatum am 28. Juni und Ankündigung einer Volksabstimmung. Sieg der Demokratie im Referendum am 5. Juli mit 61,3% Nein-Stimmen zum Spardiktat. Geste der Unterwerfung und letztes Kompromissangebot vom griechischen Parlament am 10. Juli. Tsípras‘ bedingungslose Kapitulation gegenüber der Troika am 13. Juli.Das „Oxi“ der Menschen in Griechenland hatte umso mehr beeindruckt, als 80% der griechischen Massenmedien sowie Brüssel und Berlin vehement ein „Ja“ eingefordert hatten. Und obwohl die EZB nach Ausrufung des Referendums die Hilfe für griechische Banken stoppte und diese fünf Tage vor der Abstimmung geschlossen werden mussten, entschieden die Griech_innen, für ihre Würde und gegen die kapitalistischen Erpresser zu stimmen. Doch im von Deutschland dominierten Europa gilt nur das Recht des Stärkeren.Mit 86 Milliarden Euro ist das Kreditvolumen geringer als beim letzten „Rettungspaket“. Über Sinn oder Unsinn des erneuten Versuchs, die Pleite des griechischen Staates zu verschleiern und die Interessen nationaler und internationaler Banken und der Geldgeber selbst zu schützen, sagt dies nichts. Von den 86 Milliarden werden gut 54 Milliarden in den Schuldendienst fließen, also alte Kredite mit neuen Krediten bedient. 25 Milliarden fließen an Banken, die rekapitalisiert werden. Diverse einstellige Milliardenbeträge sollen laut Handelsblatt „Zahlungsrückstände bei Unternehmern und Geldgebern im Ausland“ tilgen, ca. sieben Milliarden sind als „Bargeldpuffer“ vorgesehen. „Bereits jetzt wird klar, dass unsere Hilfsgelder allenfalls im politischen System, bei einigen reichen Griechen sowie bei Banken landen, definitiv aber nicht bei den elf Millionen Griechen, die dringend Unterstützung brauchen“, heißt es im Manager Magazin (online) vom 19. August.

Sommerschlussverkauf in Griechenland

Wenn nun griechischer Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro in den von Gläubigern verwalteten Treuhandfonds überführt und verhökert wird, gehören deutsche Konzerne zu den Profiteuren. Neben der Wasserversorgung, Stromkraftwerken, Häfen, Stränden und der Eisenbahn stehen Flughäfen zum Verkauf. Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, ein Unternehmen, das sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befindet, soll maximal profitieren. Fraport will 14 der lukrativsten griechischen Flughäfen übernehmen und spekuliert auf satte Gewinne. Einnahmen, die der griechische Staat gut gebrauchen könnte, sollen auf Betreiben der Bundesregierung in deutschen Staatskassen landen. Fraport hatte zusammen mit dem griechischen Kopeloúzos Konzern im November 2014 für 1,2 Milliarden von der Samarás-Regierung den Zuschlag erhalten. Nach ihrem Wahlsieg vom 25. Januar 2015 hatte die neue Syriza-Anel-Mehrheit den Verkauf vorerst gestoppt.

Am Tag des Referendums bilden sich lange Schlangen vor den Geldautomaten. Genug Zeit, die Plakate im Hintergrund zu betrachten, die für ein „Nein“ bein bei der Abstimmung werben.

Laut Frankfurter Rundschau vom 17.07. trieben sich Fraport-Chef Stefan Schulte und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier als politisch-administrative Vertretung der Flughafengesellschaft Mitte Juli in Brüsseler EU-Amtszimmern herum, um nach dem „Hin und Her“ Garantien zu fordern. „Man kann eine so hohe Investition nur verantworten, wenn man sichergehen kann, dass nicht irgendein Politiker das Ganze wieder rückgängig macht“, so Bouffier. Er brachte das Thema bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Sprache und forderte Garantien, etwa durch EU-Bürgschaften. Hessen hält ein Drittel der Fraport-Anteile. Mit kaum zu überbietender Arroganz pries er eine Übernahme der Flughäfen durch Fraport als „Signal auch für andere Investoren“. Griechenland werde geholfen, da der Tourismus „durch funktionierende Flughäfen“ in Gang gebracht werde. „Dieser Staat wird sie nicht herrichten“, betonte Bouffier und meinte, ohne Privatisierung würden sie „irgendwann mit Unkraut zuwuchern“.Worum es geht wird bei Schulte deutlich. Der sprach von Flughäfen „mit erheblichem Wachstumspotenzial“. Die Erfahrung und Kompetenz der Fraport garantiere, dass „wir die Wettbewerbssituation der griechischen Regionalflughäfen stärken und weiter ausbauen“. Man wolle das, um „bessere Flughäfen für die jeweilige Bevölkerung“ zu bauen, „aber natürlich auch, weil wir Geld dabei verdienen“. Der Vertrag soll bis 2055 laufen. Es geht um den Flughafen der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki, zwei weitere auf dem Festland, und betrifft außerdem diejenigen der beliebten Urlaubsinseln Kefaloniá, Kérkyra, Kos, Mykonos, Mytilíni, Rhódos, Sámos, Santoríni, Skiáthos, Zákynthos und Chaniá auf Kreta.Im Februar hatte die damals neugewählte Regierung den Verkauf gestoppt, da laut Staatsminister Alékos Flambouráris unklar sei, ob die Übernahme durch Fraport „dem allgemeinen Interesse dient“. „Der Vertrag wurde nicht ratifiziert und wir haben darum gebeten, ihn bis zu einer Überprüfung auf Eis zu legen“, so Flambouráris.
Heftige Kritik am Privatisierungs-Deal äußerte Ende Juli Infrastrukturminister Chrístos Spírtzis gegenüber dem ARD-Magazin Monitor: „Bei dieser Privatisierung soll der griechische Staat 14 gewinnbringende Flughäfen verkaufen, und die anderen 30 Flughäfen, die keinen Gewinn machen und subventioniert werden müssen, bleiben beim griechischen Staat. Das ist ein Modell, das so noch nirgendwo in Europa angewandt wurde. Das passt eher zu einer Kolonie als zu einem EU-Mitgliedsland.“
Die Lufthansa Consulting, die den griechischen Privatisierungsfonds im Bieterprozess beriet, bestätigte Monitor, dass „sicherlich von wirtschaftlicher Lukrativität ausgegangen werden“ kann. Wofür die jüngsten Flug- und Passagierzahlen sprechen: Die Zahl der Flüge an den Flughäfen stieg 2014 um 14 Prozent, die der Passagiere um 20 Prozent, auf mehr als 22 Millionen.

Deutsche Korruption in Griechenland

Die zurückgetretene Syriza-Anel-Regierung hatte die Aufnahme neuer Korruptionsprozesse gegen deutsche Konzerne nicht ausgeschlossen. So sollte es für den Fall eines von Berlin erzwungenen griechischen Staatsbankrotts zu Ermittlungen gegen Siemens, Lidl oder Hochtief kommen. Die Korruption deutscher Konzerne in Griechenland ist seit Jahrzehnten notorisch. Die betroffenen Firmen, die bisher nur teilweise von Ermittlungen betroffen waren, sollten so zur partiellen Wiedergutmachung der von ihnen verursachten Korruptionsschäden in Milliardenhöhe gezwungen werden. Bekanntestes Beispiel ist Siemens, dessen durch systematische Bestechung angerichtete Schäden von einem Untersuchungsausschuss des Athener Parlaments auf mindestens zwei Milliarden Euro beziffert werden. Nach einem außergerichtlichen Vergleich im März 2012 musste Siemens 270 Millionen als Ausgleich zahlen – weniger als ein Fünftel des aktuellen Quartalsgewinns. Als Griechenland 2012 auf Grund der Schuldenkrise unter starkem Druck aus Deutschland stand, waren mit der Aushandlung des Vergleichs höchste Regierungsstellen in Athen und Berlin befasst. Ende Mai 2015 hat das griechische Parlament neue Untersuchungen zum Siemens-Skandal aufgenommen. Der als erster Zeuge verhörte Vorsitzende des früheren Siemens-Untersuchungsausschusses, Syfis Valyrákis, betonte, Recherchen könnten „durchaus intensiver geführt“ werden als 2010. Auch gelte es, den außergerichtlichen Deal von 2012 zu überprüfen. Der ehemalige Siemens-Chef in Griechenland, Michális Christoforákos, hatte sich 2009 vor seiner drohenden Verhaftung nach München abgesetzt und lebt dort weitgehend unbehelligt von der deutschen Justiz.

Griechenland kollabiert, Deutschland profitiert

Anfang August veröffentlichte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle eine Studie unter dem Titel „Deutschlands Nutzen aus der griechischen Krise“. Die Forscher_innen hatten unter Ausklammerung anderer Faktoren die Auswirkung des wirtschaftlichen Absturzes Griechenlands auf den deutschen Bundeshaushalt untersucht. Ihr Fazit: Selbst beim Komplettausfall griechischer Kreditrückzahlungen bliebe ein Plus in der deutschen Staatskasse. Der Fiskus habe wegen der durch die kapitalistische Krise gesunkenen Zinslasten von 2010 bis 2014 über 100 Milliarden gespart, also mehr als die 90 Milliarden, die Griechenland der BRD direkt und indirekt schulde. „Schlechte Nachrichten in Griechenland waren gute Nachrichten in Deutschland und umgekehrt.“

 

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