Klimakiller Braunkohle

Zwischen Köln und Aachen erstreckt sich kilometerweit eine Mondlandschaft: das rheinische Braunkohlerevier – die größte CO2-Quelle Europas. Gigantische Bagger fördern hier im Tagebau Kohle für die RWE-Kraftwerke, die jährlich 100 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Im August 2015 gelang es etwa 1.500 AktivistInnen im Rahmen der Kampagne EndeGelände! in die Grube Garzweiler zu steigen und einen der Bagger zu besetzen. Die Gruppe ausgeCO2hlt ist Teil des Bündnisses EndeGelände! und organisiert regelmäßig die Klimacamps im Rheinland. Die DA sprach mit ausgeCO2hlt-Aktivistin Melanie Schubert darüber, was es neben Baggerbesetzungen noch braucht, um unsere Energieversorgung umzukrempeln.

 

Wie erfolgreich waren das Klimacamp und die Besetzung des Tagebaus Garzweiler im August 2015?

Im Rheinland wollen wir einen Kristallisationsort der Klimabewegung schaffen, an dem verschiedene Menschen zusammenkommen und der zugleich lokal angebunden ist. 2015 ist es uns gelungen, ganz unterschiedliche Gruppen mit ins Boot zu holen: AktivistInnen aus verschiedenen Bewegungen, die Degrowth-Sommerschule als Teil des eher akademischen Postwachstumsspektrums, lokale Initiativen und internationale AktivistInnen aus 56 Ländern. Die Aktion EndeGelände! selbst war ein großer Schub für die Klimabewegung, auf die sich inzwischen viele positiv beziehen. Allerdings führten die starke Repression und Polizeigewalt dazu, dass längst nicht alle TeilnehmerInnen mitmachen konnten. Dennoch stand der Tagebau für mehrere Stunden still und die Presseresonanz war überwiegend positiv. Wir konnten ein Statement im Rheinland hinterlassen, dass wir weiter machen und nicht aufgeben.

 

AktivistInnen gelang es im August 2015 einen der Bagger in der Grube Garzweiler zu besetzenWarum habt ihr euch die Braunkohle als Schwerpunkt ausgesucht?

Das Revier liegt quasi vor der Haustür und der Braunkohlekomplex bietet viele Anknüpfungspunkte: Braunkohle ist fürs Klima der schlimmste fossile Energieträger, den man verbrennen kann. Vor Ort werden die Machtstrukturen sichtbar, die wir überwinden wollen, da es sich nur noch in groß angelegten Aktiengesellschaften mit riesigen Tagebauen und Kraftwerken lohnt, Kohle zu fördern. Außerdem fördert Klimawandel Flucht und Migration. Aber auch Menschen vor Ort werden vertrieben und Wälder abgebaggert. Die Kohleverstromung fließt zum Teil in die Kriegsindustrie, was 2014 einer unserer Themenschwerpunkte war.

ausgeCO2hlt fordert den sofortigen Braunkohleausstieg. Wie wollt ihr dieses Ziel strategisch erreichen?

Bei der Gründung von ausgeCO2hlt vor etwa vier Jahren war uns diese Forderung wichtig, weil sie das ist, was es wirklich braucht. Alle KlimawissenschaftlerInnen sind sich einig, dass bei einem Braunkohle-Ausstieg bis 2030 selbst das 2ºC-Ziel nicht zu erreichen ist. Mit unseren radikalen Analysen gehen wir in Bündnisse und treiben Debatten voran. So ist es uns im Rahmen von EndeGelände! gelungen, Organisationen für den zivilen Ungehorsam zu gewinnen, die diesen vorher nicht praktiziert haben. Außerdem leisten wir Bildungsarbeit, um zu vermitteln, warum ein sofortiger Ausstieg möglich ist, ohne dass im Krankenhaus die Lichter ausgehen. Daneben möchten wir mit den Initiativen vor Ort und gerne auch mit den Gewerkschaften Alternativen für die Kohleregion erarbeiten. Denn häufig heißt es, ohne die Braunkohle habe im Revier niemand mehr Arbeit. Momentan klappt die Zusammenarbeit aber noch nicht so gut.

Warum ist der Austausch mit den DGB-Gewerkschaften so schwierig?

Leider war bis jetzt jeder Kontakt mit DGB-Gewerkschaften ruppig. Beim Aktionstag gegen Braunkohle karrte die IG BCE ihre Mitglieder in Bussen an, um zu stören. Bei der Menschenkette im Rheinland, zu der Greenpeace und Campact aufgerufen hatten, organisierte sie eine Gegenveranstaltung in Berlin. RWE drängte seine MitarbeiterInnen dazu, daran teilzunehmen. Beim diesjährigen Camp sollte es Workshops mit GewerkschafterInnen zur Transformation des Rheinlands geben, aber aus dem DGB hat sich niemand dafür gefunden. Auch ist das Kraftwerk Niederaußem rundum mit Plakaten von ver.di zugekleistert, die für den Ressourcenstandort Rheinland und den Erhalt der Braunkohle werben. Wir sind aber nach wie vor an einem gewerkschaftlichen Austausch interessiert, in erster Linie natürlich mit der Basis.

 

Was bedeutet es für euch, die ökologische und die soziale Frage gemeinsam zu stellen?

Es gibt kann keinen konsequenten Klimaschutz geben, ohne die soziale Frage mit zu beantworten. Diese Sicht unterscheidet uns als Klimabewegung von einer reinen Umweltbewegung, weil es nicht nur darum geht, das 2ºC-Ziel einzuhalten, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem zu hinterfragen. Ein Hebel ist dabei der Klimaschutz, ein noch kleinerer das Ende der Braunkohleverstromung. Der Kohleabbau hier vor Ort ist mit Macht- und Ungleichheitsverhältnissen weltweit verknüpft. Gerade werden neben fast allen Großkraftwerken im Revier Flüchtlingsunterkünfte errichtet. Da wird deutlich, wer global und lokal am meisten unter den Klimaauswirkungen, den Tagebauen und Kraftwerken leidet. Auf der praktischen Ebene müssen wir allerdings noch viel lernen und uns enger mit anderen Bewegungen – von hier und aus dem globalen Süden – zusammenschließen, um auch spürbare Veränderungen durchzusetzen. So haben wir etwa Kontakt zu Gruppen, die im Berliner Raum zu Energiearmut von ALG-II-EmpfängerInnen arbeiten.

 

Wie reagieren die AnwohnerInnen auf euer Anliegen und wie verhalten sich RWE und die lokale Politik?

Vor Ort gibt es eine enorme Bandbreite an BürgerInneninitiativen, die sich gegen ganz unterschiedliche Auswirkungen des Abbaus richten. Alle sind Teil des Bündnisses gegen Braunkohle. Die Positionen der AnwohnerInnen reichen von aktiver Unterstützung über heimliche Zustimmung bis hin zu offener Ablehnung, Beschimpfungen und Bedrohungen. Viele EinwohnerInnen sind begeistert oder überrascht, dass ihr kleiner Ort international so viel Aufmerksamkeit erhält. Einige Bauern stellen uns ihre Felder zur Verfügung, andere trauen sich das nicht, weil sie dann schlechtere Verhandlungspositionen mit RWE haben. Viele Leute wollen aber auch einfach in Ruhe gelassen werden, selbst wenn sie in einem Dorf wohnen, das abgebaggert werden soll. Oft wissen sie das seit 20 Jahren, wurden aber von RWE so zermürbt, dass sie die Hoffnung aufgegeben haben, weil all ihre Klagen und Sternmärsche vor Jahrzehnten erfolglos blieben. RWE reagiert auf die Proteste mittlerweile offensiv mit Gegenkampagnen. Der Konzern hat das Informationsmonopol im Revier. RWE sitzt in den Vorständen der lokalen Medien und lässt einmal im Monat eine eigene Nachbarschaftszeitung an alle Haushalte verteilen. Dagegen kommt man mit Flugblättern nicht an. Die lokalen BürgermeisterInnen treten immer dann in Erscheinung, wenn es darum geht, uns aus fadenscheinigen Gründen Flächen für die Camps zu verweigern.

Bei der Ablehnung spielt das Arbeitsplatzargument sicher eine große Rolle.

Ja, interessant ist aber, dass RWE inzwischen für viele Aufgaben Subunternehmen beauftragt, etwa im Sicherheitsbereich oder bei Rodungsarbeiten. Das Image des alleinigen Arbeitgebers, das sich RWE in der Region verschafft hat, trifft also gar nicht zu. In den Subunternehmen ist die Entlohnung schlechter und die Arbeitsverträge sind oft befristet. Viele der Unternehmen kommen nicht aus der Region, sind also nicht so verankert, wie RWE das immer verkauft.

 

Wie könnten der Transformationsprozess fürs Rheinland und Konzepte für eine Energieversorgung nach dem Kohleausstieg aussehen?

Ein Schwerpunkt ist der Rückbau der Anlagen, der eine ganze Weile Fachpersonal benötigen wird. Zudem überlegen wir, wie man die Tagebaue renaturieren kann, ohne sie durch eine Umlenkung des Rheins zu fluten, was der derzeitige Plan der Landesregierung ist. Eine Idee sind „essbare Wälder“, also eine Aufforstung, die auch zur Nahrungssicherheit beiträgt. Schließlich muss überlegt werden, was dort an erneuerbaren Energien angesiedelt werden kann, ohne das ganze Rheinland mit Solaranlagen zuzupflastern. Die Kontrolle über die Versorgung sollte dabei in BürgerInnenhand liegen und von Energiegenossenschaften getragen werden. Dazu müssen Menschen allerdings wieder lernen, sich vor Ort selbst zu organisieren und sich die Macht zurückholen, die sie an Großkonzerne wie RWE abgegeben haben.

 

EndeGelände! findet 2016 im Braunkohlerevier in der Lausitz statt, ausgeco2hlt organisiert Ende August erneut das Klimacamp im Rheinland. Mehr Infos auf ausgeco2hlt.de und ende-gelaende.org

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